Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen
denn da aus?«
»Den verdammten Liebstöckel.« Er stieß wütend die Schaufel in die Erde. »Ich hatte ihn für Vic gepflanzt, aber jetzt habe ich keine Verwendung mehr dafür, oder?«
»Vics Tees, natürlich«, sagte Kincaid unvermittelt und schüttelte den Kopf. »Wie dumm von mir.« Er sank auf ein Knie und sah Nathan in die Augen. »Sie haben die Tees für Vic gemixt, stimmt’s, Nathan? Ich erinnere mich, daß Laura gesagt hat, daß sie Liebstöckel-Tee getrunken hat.«
Nathan starrte ihn an. »Wer, haben Sie denn geglaubt, hätte sie sonst mixen sollen? Aber Liebstöckel ergibt eigentlich keinen Tee, sondern einen Sud. Er schmeckt ein bißchen nach Sellerie.«
»Haben Sie Fingerhut in Ihrem Garten?«
»Selbstverständlich habe ich Fingerhut. Direkt hinter dem Lavendel am Wegrand.« Er wollte in Richtung Plattenweg deuten, der vom Eibengang zur Terrasse führte, und sah dann wieder Kincaid an.
Er war bleich geworden, so daß die roten Flecken auf seinen Wangen beinahe wie aufgemalt wirkten. »Sie glauben doch wohl nicht, ich hätte Digitalis in Vics Tee gegeben, oder? Für was für einen Idioten halten Sie mich?« Er sprang auf die Beine und schwankte leicht.
Einen Moment lang dachte Gemma, er sei betrunken, doch er roch nicht nach Alkohol.
Kincaid, der sich ebenfalls aufgerichtet hatte, streckte die Hand aus, um ihn zu stützen. »Könnte jemand anderer das Zeug in Vics Tees getan haben?«
»Ich habe die Blätter persönlich gepflückt und sie in der Küche getrocknet. Dann habe ich sie in Reißverschlußsäckchen gesteckt.«
Erst an der Steifheit im Nacken merkte Gemma, daß sie als einzige noch immer auf dem Rasen kniete. Sie kam auf die •Beine und sagte: »Was war, nachdem sie die Säckchen mit in die Fakultät genommen hat, Nathan? Könnte dort jemand Digitalis beigemischt haben? Hätte sie es geschmeckt?«
»Das weiß ich nicht. Fingerhut ist hochgiftig ... es genügen winzige Mengen. Und der Geschmack von Liebstöckel ist Vielleicht stark genug, um jede Bitterkeit zu übertünchen.«
Gemma hörte das Beben in Nathans Stimme. Schock, überlegte sie, und Krankheit? Sie streckte die Hand aus und berührte seinen Hals. Er fuhr vor ihr zurück, doch ihre Fingerspitzen hatten die Hitze seiner Haut bereits gespürt.
»Nathan, Sie haben hohes Fieber. Was machen Sie hier '‘draußen im Wind?« Und Kincaid flüsterte sie zu: »Bringen wir ihn ins Haus.«
Kincaid nahm seinen Ellbogen und dirigierte ihn zur Terasse. »Trinken wir eine Tasse Tee miteinander, Nathan. Wo ist Adam?«
Nathan ließ sich widerstandslos zum Haus führen. »Konnte ihn schließlich überreden zu verduften«, brummelte er. »Hab ’ihm gesagt, daß seine Mumien ihn mehr brauchen als ich.« Plötzlich entwand er Kincaid seinen Arm und sah zurück. »Meine Schaufel. Ich muß sie waschen - ich wasche sie immer 'gleich ab.«
»Ich hole sie«, erbot Gemma sich und rannte zurück.
»... komisch, aber jetzt, da er weg ist, vermisse ich ihn«, sagte Nathan gerade schleppend, als sie wiederkam. »Guter alter Knabe. Wenigstens läßt er mich über sie reden, wechselt nie das verdammte Thema.« Er drehte sich plötzlich heftig um und sah Gemma aus fieberglänzenden Augen an. »Sie wollten mich schonen. Tun Sie aber nicht.«
Sie bugsierten Nathan durch die Flügeltür ins Wohnzimmer und in den nächstbesten Sessel. Zu diesem Zeitpunkt war sein leichtes Frösteln in Schüttelfrost übergegangen. Während Kincaid eine Decke holte, ging Gemma in die Küche, um Tee zu kochen.
Als Kincaid zu ihr kam, sagte sie leise: »Ein heißes Getränk hilft vielleicht, aber ich glaube, er ist ernstlich krank. Wundert mich, daß er nicht schon phantasiert.«
»Dauert nicht mehr lang. Sein Zustand verschlechtert sich minütlich«, erwiderte Kincaid. »Ich habe Adams Nummer in meiner Brieftasche. Ich rufe ihn an.« Er ging durch die Flügeltür wieder ins Freie, und Gemma sah, daß er sein Handy zückte, während sie den Wasserkessel füllte.
Sie brauchte einige Minuten, bis sie sich in der fremden Küche zurechtfand. Als das Teetablett fertig war, kehrte Kincaid von der Terrasse zurück. Er nahm ihr das Tablett ab und flüsterte ihr ins Ohr: »Adam ist unterwegs. Er bringt den Arzt mit.«
Sie gingen auf Zehenspitzen ins Wohnzimmer und stellten fest, daß ihr Flüstern umsonst gewesen war. Nathan schlief tief und fest.
Sie saßen am Küchentisch, tranken Tee
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