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Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen

Titel: Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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sich zwischen die Stapel leerer Kartons. Hier hielt das Vordach über der Laderampe den schlimmsten Regen ab. Keuchend lehnte er sich gegen die feuchte Pappe.
      Nach kurzer Verschnaufpause strich er sich das nasse Haar aus der Stirn und starrte an sich hinunter. Er war klatschnaß. Die Großmutter würde ihn umbringen. Im Geiste hörte er bereits ihr Genörgle: >Christopher, warum hast du dich nicht untergestellt? Warum bist du so gedankenlos? Und schau dir an, was du gemacht hast ... Mein Teppich ist ruiniert<.
      »Blöde alte Schachtel!« entfuhr es ihm gepreßt. Das gefiel ihm. Er saugte seine Lungen voll Luft und brüllte in den Regen: »Blöde Schachtel! Dumme Kuh!« Aber der Wind verschlang die Schreie. In seiner Nähe hörte er ein anderes Geräusch. Ein Kratzen zwischen den Kartons. Dann ein Fiepen. Er horchte, kniete nieder, hob den nächstbesten umgestürzten Karton hoch. Zwei schwarze Knopfaugen starrten ihn an. Der kleine Hund jaulte auf und zuckte vor ihm zurück.
      »Ist ja gut«, murmelte Kit. »Ich tu dir doch nichts. Du bist auch naß. Und dir ist kalt, was Hündchen?« Er redete in leisem Singsang unaufhörlich weiter, sagte jeden Blödsinn, der ihm einfiel, und streckte dem kleinen Tier die Handfläche hin. Der Hund hatte ein struppiges, graubraunes Fell - Kit tippte auf eine Terriermischung und ahnte, daß sich unter dem drahtigen Haarpelz nichts als Haut und Knochen verbargen-
      Nach einigen Minuten kroch der Hund langsam auf dem Bauch vorwärts und leckte Kits ausgestreckte Finger. »Gutes Hündchen. Braves Hündchen«, flüsterte Kit und drehte die Hand, bis er ihm das Ohr kraulen konnte. Dann berührte er vorsichtig seinen Rücken. Das Tier zuckte zusammen, verharrte jedoch zitternd an derselben Stelle. »Was soll ich nur mit dir machen?« überlegte Kit ernst, als erwarte er eine Antwort. »Hier kannst du nicht bleiben - ohne ein Dach über dem Kopf und ohne Fressen.« Er hörte auf, den Hund zu streicheln, während er nachdachte. Das Tier wandte den Kopf und stupste ihn mit der Nase an, um ihn aufzufordern weiterzumachen.
      Bei der Berührung der kalten Hundeschnauze faßte Kit einen Entschluß. Er grub in seiner Jackentasche nach der Schnur, mit der ihm sein Großvater am Vormittag Schnurspiele beigebracht hatte. Es war nur ein notdürftiger Ersatz für Halsband und Leine, aber es mußte genügen.
     
    Cambridge 21. Mai 1970
      Liebste Mami,
    ist es nicht seltsam, welche Affinität man zu gewissen Orten entwickelt? Während des Monats mit Dir und Nan habe ich mich davor gefürchtet, nach Cambridge zurückzukehren und die Scherben meines Lebens zu kitten. Es schien mir, als sei allein unser Häuschen mein Zuhause, und ich wünschte mir nichts sehnlicher als das tröstliche Alltagskorsett Eures häuslichen Lebens. Was es zum Tee geben soll ... was im Garten getan werden muß ... welcher Roman aus der Bibliothek geliehen werden soll ... all das ergibt ein überschaubares, beherrschbares Universum.
      Aber die ganze Zeit fühlte ich den Drang zu schreiben stärker werden, so unabänderlich wie das Aufsteigen der Säfte im Frühling. Ich muß schreiben, komme, was wolle. Es macht mich zu dem, was ich bin, und dazu muß ich auf eigenen Beinen stehen, so wackelig diese auch sein mögen.
      Aber all das hast Du längst gewußt, stimmt’s, Mami? Du hast mir einen kleinen, sanften Schubs gegeben, bis ich mir selbst darüber klarwurde. Das komische ist, seit ich wieder hier in diesem Haus bin - das ich so voller Gespenster wähnte - fühle ich mich zu Hause. Durch einen unerfindlichen Fingerzeig des Schicksals ist es nicht länger Morgans Haus, nicht einmal Morgans und Lydias Haus, sondern meins. Und es ist so angenehm vertraut.
      Ich versuche alles so einfach wie möglich zu halten. Ein eiserner Tagesplan aus Hausarbeit, Lesen und Schreiben hält die düsteren Schatten in Schach.
      Bislang gehe ich kaum unter Menschen. Ich bin für ihre Fragen noch nicht bereit. Nathan und Jean hatten mich zum Abendessen eingeladen und mir das Gefühl gegeben, nie fort gewesen zu sein. Wir haben uns über normale und unverfängliche Dinge unterhalten - über Allisons Windeln und die besten Zutaten für Linsensuppe. Jean ist wieder schwanger.
      Du hast nach Adam gefragt. Er ist wie üblich rührend besorgt, aber ich fühle den drängenden Wunsch, der dahintersteht, und ich fürchte, das ist mehr, als ich geben kann. Ich kann es mir nicht leisten, mich je wieder an einen Mann zu

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