Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen
mitkommen?«
»Tut mir leid, Kumpel. Ist nur Arbeit.«
»Aber es ist Sonntag.«
Kincaid seufzte. »Ich weiß. Aber das spielt keine Rolle, wenn ein Fall erst mal ins Rollen gekommen ist.«
»Geht um Mord, stimmt’s?« Kit starrte ihn an. Er war jetzt hellwach.
Kincaid schob Sid sanft aus dem Weg und setzte sich auf die Kante des Couchtischs.
Bevor er antworten konnte, fuhr Kit fort: »Du könntest mich mitnehmen. Ich warte im Wagen. Mache bestimmt keine Schwierigkeiten.«
Kincaid dachte an die Leiche auf dem rostfreien Stahl des Obduktionstischs ... und was mit ihr geschehen würde. »Kit, das geht nicht. Ist einfach nicht drin. Und ich habe keine Ahnung, wie lange ich unterwegs bin.«
»Aber ich muß heute abend mit dem Zug nach Cambridge zurück.« Kits blaue Augen wurden groß vor Angst. »Ich habe morgen Schule. Ist Prüfungswoche. Und da ist Tess ...«
»Ich bring dich zum Zug. Keine Sorge. Und in der Zwischenzeit ... warum nimmst du nicht das Angebot des Majors an? Ich glaube, Kew Gardens gefällt dir.« Kincaid warf einen Blick auf die Uhr. »Tut mir wirklich leid, Kumpel, aber ich muß gehen ...«
»Ist gar nichts zum Frühstück da.« Kits Mund verzog sich eigensinnig. Kincaid hatte gelernt, daß das seine Methode war, Enttäuschungen zu verarbeiten.
»Ich weiß«, sagte Kincaid mit traurigem Lächeln. »Ich hatte vorgehabt, zusammen mit dir einzukaufen.« Er dachte einen Moment nach. »Ich habe eine Idee.« Er zückte seine Brieftasche und zog ein paar Scheine heraus. »Gleich um die Ecke am Rosslyn Hill ist ein gutes Café. Du könntest den Major zu einem anständigen Frühstück einladen. Der Rest ist für die S-Bahn und den Eintritt in den Botanischen Garten.« Er steckte seine Brieftasche wieder ein und zögerte. Wie sollte er Kit begreiflich machen, daß er ihn nicht aus freien Stücken allein ließ?
»Wir sehen uns heute abend«, erklärte Kincaid schließlich. Als er aus der Wohnung ging, fiel ihm ein, daß seine Rechtfertigung doch nicht ganz hieb- und stichfest war. Schließlich hatte er sich seinen Job freiwillig ausgesucht.
»Das Leichenschauhaus um acht Uhr an einem Sonntag morgen«, murmelte Gemma, als sie in den Keller des Krankenhauses hinuntergingen. »Mein absoluter Wunschtraum.« Sie haßte den Geruch von Desinfektionsmitteln und den allgegenwärtigen, widerlichen Geruch von Krankheit.
Um sich abzulenken, dachte sie an die Musikalienhandlung, die sie auf dem Weg zur S-Bahnstation Angel an diesem Morgen gesehen hatte. Sie hatte natürlich geschlossen gehabt, aber sie hatte trotzdem die Pentonville Road überquert und in die Schaufenster geschaut. Vielleicht hatte sie am nächsten Tag Gelegenheit, die Musikbücher zu kaufen, die Wendy empfohlen hatte, und bei der nächsten Stunde am Samstag - immer vorausgesetzt, die laufenden Ermittlungen ließen ihr Zeit, sie wahrzunehmen - sollte sie wirklich mit dem Klavierspiel beginnen.
Am Vorabend, nachdem sie Toby ins Bett gebracht hatte, hatte sie das Licht gedimmt und sich aus der angebrochenen Flasche im Kühlschrank ein Glas Wein eingeschenkt. Dann hatte sie zögernd in den Garten im Zwielicht hinausgesehen. So sehr sie ihre wenigen Stunden des Alleinseins zu schätzen wußte, war sie unruhig und rastlos gewesen und hatte sich gefragt, ob ein kurzes Gespräch mit Hazel helfen konnte, Annabelle Hammonds Bild aus ihren Gedanken zu verbannen.
Als sie lautlos die Garagenwohnung verlassen hatte und quer durch den Garten gegangen war, dankte sie erneut dem Schicksal, das sie zu den Cavendishs geführt hatte. Hazel hatte nicht nur angeboten, sich um Toby und ihre eigene Tochter zu kümmern, während Gemma arbeitete, sondern war auch eine wertvolle Freundin geworden. In vielerlei Hinsicht fühlte sich Gemma Hazel enger verbunden als ihrer Schwester, denn sie hatte gelernt, daß Blutsverwandtschaft keine Garantie für Sympathie oder gemeinsame Interessen ist.
Sie hatte Hazel und Tim bei einer Tasse Kakao und einem ruhigen Gespräch am Küchentisch vorgefunden. »Ich störe«, sagte sie, eine Hand noch an der Türklinke. »Wollte einfach nur gute Nacht sagen.«
»Blödsinn! Komm, setz dich«, sagte Hazel und klopfte auf den Stuhl neben sich. »Ich würde dir Kakao anbieten, aber wie ich sehe, bist du bei Alkohol«, fügte sie mit einem Blick auf Gemmas Weinglas hinzu. »Harten Tag gehabt?«
»War der absolute Hammer.« Gemma schlenderte zum Tisch, setzte sich
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