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Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen

Titel: Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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Fuhrpark von Scotland Yard einzutauschen, genoß er an diesem Abend noch einmal das Gefühl, mit offenem Verdeck durch die milde Abendluft zu fahren.
      Er liebte London bei Nacht, wenn die Straßen leer waren und sich die Unmenge der Lichter zu einem Kaleidoskop verdichtete. Als er auf die West India Dock Road hinausfuhr, sah er zu seiner Linken das blinkende Warnlicht auf dem Canada Tower der Canary Wharf. Er fragte sich, ob Annabelle Hammond es wohl vergangene Nacht gesehen haben mochte, als sie aus dem Greenwich-Tunnel gekommen war, und ob sie allein gewesen war ...
      Natürlich war die Möglichkeit nicht auszuschließen, daß Annabelle von einem Fremden - vielleicht nach mißlungener Vergewaltigung - ermordet worden war. Vielleicht hatte sie sich nur zur falschen Zeit am falschen Ort aufgehalten. Sein Gefühl allerdings sagte ihm, daß mehr dahintersteckte. Er vermutete, daß Annabelle Hammond eine Frau gewesen war, die in ihrer Umgebung starke emotionale Reaktionen hervorgerufen hatte, und daß es diese Veranlagung gewesen war, die sie das Leben gekostet hatte.
      Die Fahrt von Limehouse nach Hampstead dauerte nur halb so lang wie bei Tag, und als er die Carlingford Road erreichte, fand er einen Parkplatz in der Nähe seiner Wohnung, was zu dieser späten Stunde ein unverhoffter Glücksfall war. Die Fenster der Parterrewohnung des Majors waren bereits dunkel. Er betrat das Gebäude und ging die Stufen zu seinem Apartment hinauf.
      Leise steckte er den Schlüssel ins Schloß und öffnete die Tür. Sein Wohnzimmer lag im Halbdunkel, nur von der kleinen Lampe in der Küchennische und dem Flackern des Fernsehbildschirms ohne Ton erhellt. Kit lag in Jeans und T-Shirt auf dem Sofa, hatte einen Arm ausgestreckt und schlief fest. Sid hatte sich vor seiner Brust zusammengerollt. Der Kater machte die grünen Augen auf und sah Kincaid blinzelnd an. Der Junge rührte sich nicht.
      Während Kincaid so dastand und ihn beobachtete, stellte sich dasselbe alte Gefühl ein wie damals beim Anblick des schlafenden Kit, als er den Jungen in seinem Versteck im Landhaus in Grantchester nach dem Tod der Mutter gefunden hatte.
      Er wandte sich ab und entdeckte in der Küchennische einen abgedeckten Teller mit Sandwiches, ein Glas Milch und eine Nachricht in Kits kleiner, sauberer Handschrift:
      Lieber Duncan,
    wir haben dir ein paar Brote vom Picknick aufgehoben. Den Kuchen allerdings haben wir (oder eigentlich ich) aufgegessen. Der Major will morgen mit mir nach Kew Gardens ... wenn du arbeiten mußt.
      P.S. Habe Sidgefüttert. Er liebt Schinkenbröte.
      P.S. Tennis war toll! Nur schade, daß du nicht dabei warst.
      Die Nachricht war mit einem großen geschwungenen K signiert, das Kit reich verziert hatte.
      Kincaid fand eine leichte Decke im Wäscheschrank und legte sie über Kit, nicht jedoch über die Katze. Dann stellte er Sandwiches und Milch in den Kühlschrank, schenkte sich einen Finger hoch fünfundzwanzig Jahre gereiften Macallan Whisky ein und trug Zettel und Drink quer durchs Wohnzimmer zum Sessel. Dort saß er lange und bewegungslos, hob nur gelegentlich sein Glas an die Lippen und bewachte Kits gleichmäßige Atemzüge.
     
    Nachdem sie die Kinder ins Bett gebracht hatte, lief Jo zum Nachbarhaus und schloß mit ihrem Schlüssel die Haustür ihres Vaters auf. Er hatte Sir Peter und Helena ins Savoy zum Essen eingeladen, sollte jedoch in Kürze nach Hause zurückkehren, und sie hatte beschlossen, ihm die Nachricht noch an diesem Abend zu überbringen.
      Es den Kindern zu sagen, hatte sie nicht über sich gebracht; noch nicht ... obwohl ihr klar war, daß sie das nur bis zum kommenden Morgen würde aufschieben können. Die beiden waren ohne Widerrede ins Bett gegangen, ein Zeichen, daß sie spürten, daß etwas nicht stimmte, aber sie hatten keine Fragen gestellt. Auch ihre unerklärte Abwesenheit hatten sie nicht hinterfragt, als sie mit den Polizeibeamten zum Leichenschauhaus gefahren war. Nur Harry hatte gemeckert, als sie für ein paar Stunden zu den Nachbarn geschickt wurden.
      Jetzt stand sie in der Diele und horchte auf die Geräusche des leeren Hauses. Die alte Standuhr tickte; die Fußbodenbohlen knarrten; aus der Küche drang das tiefe Brummen des Kühlschranks, begleitet vom Tropfen des Wasserhahns. Sie war in diesem Haus aufgewachsen, und für sie war es eine lebendige, atmende Einheit, so vertraut wie der eigene Körper. Es hatte einen eigenen, einzigartigen Geruch, und sie

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