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Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen

Titel: Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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aufzuspringen und William das Paket aus der Hand zu reißen. »Haben Sie was dagegen, wenn wir lieber den Assam nehmen? Irgendwie kann ich nicht...«
      William schien erst jetzt zu merken, was er in der Hand hielt. »O natürlich! Ganz richtig ...« Er stand einen Moment da, als habe er durch die Unterbrechung die Orientierung verloren. Dann tauschte er die Teepakete aus und fuhr methodisch mit seinen Vorbereitungen fort. Nachdem er die Kanne mit heißem Wasser vorgewärmt hatte, goß er Tee auf und trug das Tablett zum Tisch. Reg bemerkte, daß seine Hände nicht mehr zitterten.
      Tatenlos warteten sie zwischen dem Ticken der Eieruhr und dem Schlagen der Standuhr in der Diele darauf, daß der Tee zog. Reg, den die Stille keineswegs verlegen machte, sah sich in der ihm so vertrauten Küche um. Hier hing seit seiner Kindheit Williams Sammlung von gerahmten Werbezeichnungen der Firma Hammond’s. Die ältesten Exemplare stammten aus dem Jahr 1880, als ein junger Mann namens John Hammond seinem Chef aus der Mincing Lane gekündigt und sich als erster Teehändler auf der Isle of Dogs niedergelassen hatte. Er war Williams Urgroßvater gewesen.
      »Die habe ich immer geliebt.« Reg deutete auf die Schwarzweißzeichnungen. »Besonders die aus der London Illustrated News.«
      »Ja. Das hier war Annabelles Lieblingszeichnung. Ich meine die mit den kleinen Chinesen.« Während eine hübsche Frau in der Kleidung der Viktorianischen Zeit in einem Liegestuhl döste, versuchte ein ganzer Schwarm winziger Chinesen eine Blechbüchse Tee an die Tischkante zu schieben, wo eine Kanne und eine Tasse warteten. »Jetzt würde man sie vermutlich für rassistisch halten. Für mich hatte das Plakat immer was sehr Charmantes. Und Annabelle hat ständig Geschichten über die Chinesen erfunden ... ihnen sogar Namen gegeben ... wenn ich mich recht erinnere. Ihre Gesichter sind so individuell verschieden.« William starrte lange auf die Skizze. Dann sagte er leise. »Ich fürchte, ich habe es noch gar nicht begriffen. Nicht wirklich, jedenfalls.«
      »Haben Sie schon mit der Polizei gesprochen?«
      »Der Polizei? Nein. Aber Jo hat das getan. Sie sagt, wir können sie nicht beerdigen ... kein offizielles Begräbnis organisieren, weil ...« Die Eieruhr klingelte, und William griff offensichtlich erleichtert nach der Teekanne. Er schob seine Brille hoch und goß vorsichtig etwas Milch in seine Tasse, bevor er Tee hineingab. Zuerst die Milch, nachdem man die Teeblätter mindestens fünf Minuten in einer vorgewärmten Kanne hat ziehen lassen. Das hatte Annabelle Reg beigebracht, als sie noch Kinder gewesen waren. Und sie wiederum hatte es von ihrem Vater gelernt.
      Und wie ihr Vater hatte sie stets auf echtem Porzellan beharrt mit dem Argument, daß die Entwicklung englischen Porzellans und die Kultur des Teetrinkens untrennbar miteinander verbunden seien. Dabei war es für sie auch eine Frage der Ästhetik gewesen. Sie hatte nicht nur behauptet, das Porzellan beeinflusse den Geschmack des Tees, sondern die Vollkommenheit des Teerituals war ihr ebenso wichtig gewesen wie die Qualität des Tees selbst.
      Reg zwang sich zurück in die Gegenwart. »Kann mir nicht vorstellen, daß die Polizei gefühllos sein will«, bemerkte er, wenn er auch den Gedanken an die Gründe der Polizei, Annabelles Leiche nicht freizugeben, verdrängte. »Man versteht ja, daß sie gründlich sein müssen.« Er griff nach seiner Tasse und gab einen Löffel Zucker in den Tee. Annabelle hatte ihn solange gequält, bis er seinen Zuckerkonsum pro Tasse von zwei auf einen Löffel reduziert hatte. Sie hatte darauf beharrt, daß zuviel Zucker den Geschmack des Tees verderbe. Er fügte einen zweiten Löffel Zucker hinzu und rührte um.
      »Ich begreife nicht, wie so etwas passieren konnte«, sagte William stockend. »Sie haben gesagt, daß sie im Park war ... Aber was hatte sie nachts allein im Mudchute zu suchen? Annabelle wäre doch nie so dumm gewesen ...«
      Sicher nicht, dachte Reg, aber hatte auch nur einer von ihnen Annabelle wirklich gekannt? Und wie hatte ihr Tod zufällig sein können? Ein grotesker Zufall, unabhängig von den Ereignissen der vergangenen Tage? Doch darüber nachzudenken, sträubte sich alles in ihm, und er weigerte sich, die Kette der Möglichkeiten bis zu einer wahrscheinlichen Erklärung weiter zu verfolgen.
      William sah auf, und ihre Blicke kreuzten sich. Er zog eine Grimasse. »Es tut mir so unendlich leid, mein lieber

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