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Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen

Titel: Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie
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diese Vergeudung.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich habe meine beiden Brüder im Ersten Weltkrieg verloren. Waren fast noch Kinder, viel zu jung, um in den Schützengräben zu sterben.«
      Beim Anblick von Lewis streckte sie den Arm aus und drückte ihre rote, feuchte Hand auf seine Finger. »Oh, Jungchen, entschuldige bitte! Hast ja auch Brüder. Hast es mir doch erzählt.«
      Lewis nickte, aber seine Kehle war wie zugeschnürt, und er brachte kein Wort heraus. Was er ihr nicht erzählt hatte, war, daß sich seine Brüder im Fall einer Kriegserklärung umgehend zum Militärdienst melden wollten, ihm jedoch das Versprechen abgenommen hatten, niemandem etwas davon zu verraten. Seine Mum wäre untröstlich gewesen.
      »Na, vielleicht ist es nur ein Sturm im Wasserglas, und es wird nichts draus«, fuhr die Köchin beruhigend fort. »Und weil wir gerade vom Wasser reden ... Wie wär’s mit was zu trinken? Ich mache uns erst mal eine Tasse Tee.« Damit stand sie schwerfällig auf. Während sie ihm ihre breite Rückenansicht präsentierte und eifrig am Herd hantierte, versuchte Lewis sich klarzumachen, was dieser Krieg bedeutete. In all den Wochen, in denen die Leute auf die Verdunklung vorbereitet, in denen Unterstände gebaut worden waren und Markierungsballons der Luftwaffe wie die Reste eines Kindergeburtstages über London geschwebt hatten, hatte er nie ernsthaft an einen Krieg geglaubt. Er hatte angenommen, daß die Evakuierung auf dem Land nicht länger als eine oder zwei Wochen dauern würde. Jetzt allerdings sah es so aus, als sei ein Ende vorerst nicht abzusehen.
      Die Verbindungstür zum Korridor des Herrenhauses flog auf, und William Hammond trat ein. Er trug denselben Schulblazer mit Krawatte wie am Vortag, doch seine Haare standen ihm widerspenstig vom Kopf, als hätten sie jeder Bürste widerstanden. »Habt ihr’s gehört? Ist das nicht wahnsinnig aufregend?«
      Die Köchin am Herd drehte sich um und schüttelte mißbilligend den Kopf. »Du weißt wohl nicht, was du da sagst, Master William. Wenn deine Mutter dich hören könnte ...«
      »Mami hatte im Wohnzimmer einen hysterischen Anfall. Vater mußte das Riechsalz holen und sie nach oben bringen, damit sie sich hinlegen kann«, berichtete William. »Und Tante Edwina bittet das Personal zu sich ... vollzählig ... in einer halben Stunde im Wohnzimmer. Schätze, sie will eine Rede halten. Ich soll allen Bescheid sagen. « Damit stürmte William ebenso wichtigtuerisch wieder hinaus, wie er hereingekommen war, und Lewis blieb zurück, um bei der Köchin bis zum Empfangstermin bei der Hausherrin auszuharren.
      Schließlich sammelten sich alle in der Küche ... John Pebbles und seine Frau Mary, eine zierliche Frau mit schönem braunem Haar; Kitty, das Hausmädchen, kaum älter als Lewis; Owens, der walisische Butler mit seinem melodischen Dialekt; Lewis und die Köchin. Während sie warteten, wurde hitzig diskutiert, doch als die Glocke sie rief, trabten sie schweigend in die vorderen Räumlichkeiten des Hauses.
      Lewis war der letzte in der Reihe, die in den Salon defilierte, was ihm Zeit gab, sich in der neuen Umgebung genauer umzusehen. Nach dem dampfgesättigten Zwielicht in der Küche und der glänzenden, dunklen Holztäfelung der Halle und des Treppenhauses erschien ihm der weißgetünchte Raum geradezu gleißend hell. Ein mit Chintz bezogenes Sofa stand vor dem Kamin, flankiert von zwei Sesseln mit Gobelinbezügen. Auf einem Wandtisch prangte eine Vase mit Spätsommerblumen, und die vorherrschenden Farben auf dem Gemälde über dem Kamin waren weiche Rot- und Blautöne. Lewis riß den Blick von den seltsam gekleideten Kindern auf dem Bild los und sah den schlanken Mann an, der, ihnen abgewandt und einen Ellbogen auf den Kaminsimsgestützt, aus dem Fenster starrte.
      Dann drehte sich die Gestalt um, und Lewis erkannte, daß es sich nicht um einen Mann, sondern eine große Frau in Reithose und Reitrock handelte, die ihr Haar so kurz trug, wie er es nie zuvor an einer Frau gesehen hatte. Ihre Züge waren scharf, und ihre Augen strahlten kornblumenblau in ihrem sonnengebräunten Gesicht.
      »Ihr habt die Nachricht sicher alle schon gehört«, begann sie, nahm eine Packung Zigaretten vom Kaminsims und zündete sich mit einem silbernen Feuerzeug eine Zigarette an. »Scheint so, als hätte ich unrechtgehabt mit meiner Meinung, daß es keinen Krieg gibt. Hoffentlich liege ich richtiger, wenn ich hoffe, daß er nicht lange dauern

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