Deborah Crombie - 05 Das verlorene Gedicht 06 Boeses Erwachen
eine bedeutungslose Floskel war. Sie streichelte sein Gesicht. Er wandte blind den Kopf, bis sein Mund ihre Handfläche fand.
Die Wärme seines Atems und die Berührung seiner Lippen auf ihrer Haut verursachten ihr einen Schauer der Lust. Sie stöhnte atemlos auf.
Er küßte ihre Hände zärtlich, dann immer leidenschaftlicher, riß sie in seine Arme und begann das Liebesspiel mit einer Leidenschaft, als reagiere er eine stumme Wut an ihr ab, und sie war sich nicht einmal sicher, ob er dabei überhaupt an sie dachte.
Gemma ließ sich mitreißen, und zum Schluß fielen sie beide in einen tiefen, traumlosen und erholsamen Schlaf.
Den ganzen Mittwochvormittag versuchte er, sich darauf zu konzentrieren, das Beweismaterial des Falles für die Staatsanwaltschaft aufzubereiten, den Gemma und er zuletzt ermittelt hatten. Bei jedem Wimpernschlag jedoch tauchten Bilder und Szenen mit Vic auf seiner Netzhaut auf, und wann immer sein Telefon klingelte, riß er den Hörer ängstlich und erwartungsvoll von der Gabel.
Beim Mittagessen in der Kantine starrte Gemma ihn über den Tisch hinweg so lange an, bis er sich zwang, zum ersten Mal seit vierundzwanzig Stunden etwas zu essen. Wie Kit am Vorabend merkte er dabei plötzlich, daß er einen Bärenhunger hatte, und machte mit seiner Steak- und Nierenpastete und den Kartoffeln kurzen Prozeß.
Gestärkt kehrte er in sein Büro zurück. Er hatte das immer mächtiger werdende, dringende Bedürfnis, alles auf seinem Schreibtisch aufzuarbeiten.
Gemma war draußen am Kopierer, und er saß allein in seinem Zimmer, als der Anruf schließlich um halb fünf Uhr nachmittags kam.
»Duncan, Alec hier.« Byrnes Stimme war diesmal laut und deutlich zu verstehen. Kincaid wähnte ihn an seinem massiven Schreibtisch im Polizeipräsidium von Cambridge. »Weißt du zufällig den Namen vom Hausarzt deiner ... von Dr. McClellans Hausarzt?«
Kincaid wußte sofort, was das bedeutete. »Was gibt’s, Alec? Was habt ihr entdeckt?«
»Die Obduktion ist abgeschlossen. Wir haben den toxikologischen Untersuchungen absolute Priorität eingeräumt. Dabei kam heraus, daß sie eine ziemlich hohe Konzentration von Digitalis im Blut hatte.« Byrne klang, als empfände er das Ergebnis als persönliche Beleidigung.
»Hat sie ein Herzmittel genommen?« fügte er hoffnungsvoll hinzu.
Diesmal, dachte Kincaid, wird es für euch nicht so einfach sein. »Meines Wissens nicht. Sie war eine gesunde, aktive Frau, Alec. Ich schätze, ihr Arzt wird das bestätigen. Wer ihr Arzt war, weiß ich allerdings nicht.«
»Schade! Ich hatte gehofft, du könntest uns Zeit sparen. Wir haben die Fakultätssekretärin gefragt - ohne Erfolg -, also müssen wir uns ihre persönlichen Unterlagen vornehmen.«
»Alec, ich habe einige von Vics Papieren«, gestand Kincaid, der wußte, daß ihm nur diese einzige Chance blieb. »Unterlagen zu ihrer Biographie über Lydia Brooke.«
»Hat Dr. McClellan sie dir gegeben, als du hier warst, um die Akte von Lydia Brooke einzusehen?« fragte Alec und öffnete ihm einen Ausweg aus der Klemme.
»Nein. Ich habe die Unterlagen gestern abend aus dem Haus mitgenommen. Ich hatte das Gefühl, daß jemand ihr Arbeitszimmer durchwühlt hatte, und wollte die Sachen nicht so einfach herumliegen lassen.« Das war nur die halbe Wahrheit, aber sie hatte den Vorteil, Byrne in Verlegenheit zu bringen. Übte er keine Nachsicht gegenüber Kincaid, geriet er in Zugzwang, seine Nachlässigkeit in einem Fall plausibel zu machen, den der Pathologe zweifelsfrei als Mord identifiziert hatte.
Das Schweigen am anderen Ende der Leitung bewies nur, daß Byrne die Zeichen der Zeit erkannt hatte. Byrne räusperte sich. »Hm, das ist zwar nicht ganz korrekt, aber unter den Umständen ... geht das in Ordnung. Bring mir die Unterlagen zurück. So schnell wie möglich.«
Kincaids Bürotür ging auf, und Gemma kam herein. Sie hatte einen Stapel Akten unter dem Arm. Als sie sah, daß er telefonierte, deponierte sie die Akten wortlos auf seinem Schreibtisch und setzte sich auf den Besucherstuhl.
»Morgen«, versprach Kincaid Byrne. »Die Uhrzeit kann ich noch nicht sagen. Alec, was das Digitalis betrifft - hat der Toxikologe einen Verdacht geäußert, welcher Herkunft es ist? Natürlicher oder synthetischer?«
»Die Dame meinte, das ließe sich nicht feststellen. Beide Stoffe zerfallen in dieselben Bestandteile. Es könnte von einer ganzen Liste von
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