Debütantinnen - Roman
Paul ausgeführt hatten, und von ihren gemeinsamen Abenteuern. Der Ebenholzmops aus dem Queen-Anne-Haus in Cheshire. Der Lesetisch aus Eiche aus der alten öffentlichen Bücherei in Aylesbury. Der gefälschte Canaletto aus Bath. Dieses Geschäft war immer ihr Leben gewesen. Besonders heute kam es ihr unmöglich vor, dass diese Dinge noch da waren und er nicht mehr. Er war realer als all dies hier, und doch saß sie da, starrte auf Gemälde und Übertöpfe, leere Stühle.
Unter großer Willensanstrengung drehte sie sich wieder um, griff nach dem Telefonhörer und fing an zu wählen.
Dann hielt sie inne und legte auf.
Was wollte sie ihrer Schwester sagen? Dass Katie in Schwierigkeiten steckte? Dass sie sich Sorgen um sie machte? Oder nur, dass sie auf Besuch war?
Wenn sie eine Nachricht hinterließ, würde Anna vielleicht zurückrufen und selbst mit Katie sprechen.
Sie seufzte und fuhr sich mit den Fingern durch die Haare.
Warum war es so kompliziert − warum rann ihr das Wesentliche durch die Finger wie Wasser?
So war das bei Katie, und so war es auch bei ihrem Vater gewesen. Die einfachsten Dinge waren schwer zu fassen, kompliziert. Zwei Minuten in ihrer Gesellschaft, und man wusste nicht mehr, wo man war und was man gerade tat.
Sie tastete auf der Suche nach ihren Zigaretten in ihrer Handtasche herum, doch die Schachtel, die sie fand, war leer. Sie drückte sie zusammen und zielte auf den Papierkorb, verfehlte ihn jedoch. Die zerknüllte Schachtel landete auf einer Kiste mit alten Katalogen, die seit Monaten darauf warteten, einsortiert zu werden.
Sie vermisste Paul. Sein Tod hatte eine schmerzliche Leere in ihrer Brust hinterlassen, körperlich und real, als mühte ihr Herz sich ab wie ein stummes Tier, das sich nach einer Berührung sehnte und nicht verstand, dass es keine mehr bekommen würde. Obwohl sie viele Jahre zusammen gehabt hatten, gute Jahre, war es nicht genug gewesen.
Und jetzt vermisste sie, wie sie sich mit leichter Verärgerung eingestehen musste, auch ihre Schwester Anna. Auch wenn das etwas anderes war. Es war keine behagliche, sentimentale Sehnsucht, sondern eher ein älteres Gefühl, kindisch und bockig, ein Gefühl, aus dem sie längst herausgewachsen sein sollte. Sie war neidisch, ganz einfach. Sie beneidete ihrer Schwester um ihr neues Leben. Und plötzlich kamen ihr die Dinge um sie herum nicht mehr vor wie kostbare Mementos, sondern wie eine Last, die sie an eine Vergangenheit band, der sie nicht entfliehen konnte.
Warum hatte sie immer haben wollte, was Anna hatte?
Sie sollte sich für sie freuen. Das war sie ihr schuldig.
Unwillkürlich dachte sie an Ryan, Katies Vater. An diesen schrecklichen Sommer. An das Ferienhaus am Strand, das sie gemietet hatten. Und an das Wochenende, als Anna mit ihrem Mann und ihrem Kind zu Besuch gekommen war.
Sie stand auf, öffnete die Tür, reinigte ihre Lunge und ihren Kopf mit frischer Luft.
Doch wenn die Erinnerung einmal da war, ließ sie sich nicht so leicht vertreiben und quälte sie.
Ein Hupen störte sie in ihren Gedanken. Auf der anderen Straßenseite sah sie Jack in seinem witzigen kleinen Triumph vorfahren, der absolut in eine andere Zeit gehörte. Es sah ihm gar nicht ähnlich, so früh zu kommen. Sie winkte.
»Willst du einen Kaffee?«, rief er und stieg aus.
Sie schüttelte den Kopf, und er verschwand in dem Café gegenüber.
Rachel schloss die Tür und ging zurück an ihren Schreibtisch.
Sie würde später anrufen. Wenn sie allein war. Es gab viel Arbeit zu erledigen. Und heute war der Tag, an dem sie einiges aussortieren und Dinge erledigen würde.
*
Cate saß an einem Computer in der kühlen Halle der Marylebone Library. Sie war schon fast den ganzen Tag dort. Die Bibliothekarin hatte ihr geholfen, mehrere auf Hochglanzpapier gedruckte Bildbände über die Blythe-Schwestern herauszusuchen, die sie eifrig durchgeblättert hatte. Es schien, als habe insbesondere Baby mit ihrem Starletaussehen und ihrem geheimnisvollen Verschwinden sehr viele Menschen inspiriert. Doch es gab nur wenige Anhaltspunkte, was ihr tatsächlich widerfahren war − im Grunde nichts als romantische Spekulationen. Ihre Suche am Computer nach »Baby Blythe« oder »Diana Blythe« förderte dieselben Fotos zutage, aber kein bedeutsames neues Material.
Sie steckte fest.
Sie tippte »Lady Malcolm Avondale« ein.
Der Bildschirm flackerte und zeigte eine Seite mit frischen Links, die meisten Nachrufe auf die kürzlich Verstorbene. Cate klickte einen
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