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Debütantinnen - Roman

Titel: Debütantinnen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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strahlende Schönheit. Gott allein weiß, wie es zerrissen ist. Unsere Schneiderei hatte verteufelte Mühe, es zu reparieren, deswegen wird es so präsentiert.« Sie wies Cate darauf hin, dass die Schaufensterpuppe, die das Kleid trug, leicht schräg zum Betrachter stand. »Wenn die Familie gewusst hätte, dass es in dieser alten Truhe war, hätten wir es bestimmt in tausend Jahren nicht bekommen. Aber ich habe den Verdacht, dass er es versteckt hatte, als kleine Trophäe aus seiner Vergangenheit. Natürlich kann man das nicht beweisen. Und die Nachricht, die dabei war, wurde irgendwo abgeheftet, untergegangen im Meer der Bürokratie. Aber es ist ein wunderschönes Beispiel für die Schneiderarbeit von Madame Vionnet. Es muss damals ein Vermögen gekostet haben.«
    »Sie war wirklich sehr zierlich, nicht wahr?«
    Sam nickte.
    »Was glauben Sie, wie groß ihre Füße waren?«
    »Oh, ich weiß nicht … klein … vielleicht 37, 38.«
    Cate lächelte in sich hinein. Es gab noch eine geringe Chance.
    »Als ich hörte, dass Sie sie erwähnten, dachte ich, es könnte Sie interessieren«, sagte Sam.
    »Ja, ich interessiere mich für alles, was mit den Blythe-Schwestern zusammenhängt. Danke, dass Sie es mir gezeigt haben.«
    »Es war mir ein Vergnügen. Haben Sie schon in der National Portrait Gallery nachgeforscht? Man weiß nie. Die haben dort die erstaunlichste Sammlung berühmter Gesichter. Wir greifen häufig auf ihr Archiv zurück.«
    »Eine gute Idee.« Cate machte sich in Gedanken eine Notiz.
    Seufzend wandte Sam der Schaufensterpuppe den Rücken zu. »Aber warum? Das kapiere ich nicht.« Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Warum sollte eine Frau, die so schön und so gefragt war, so einen hässlichen alten Mann bumsen? Ich begreife das einfach nicht.«
    Cates Blick war auf die makellosen Satinfalten des exquisiten Kleids gerichtet.
    »Nicht alles, was wir tun, lässt sich logisch erklären«, sagte sie schließlich.
    *
    Cate trat in die stickige, warme Luft hinaus auf den Gehweg der Exhibition Road und eilte zur Bushaltestelle. Wenn die Schuhe Baby Blythe gehört hatten, dann gehörten die anderen Sachen in dem Schuhkarton wahrscheinlich auch ihr: der Schlüssel, das Armband, das Foto … Waren dies womöglich die fehlenden Hinweise auf das Geheimnis ihres Verschwindens? Vielleicht war sie, Cate, der einzige lebende Mensch, der die Puzzleteile zusammensetzen konnte. Wieder dachte sie an das Kleid, die Nachricht, an den Riss, der nie ganz repariert werden konnte. Tausend Fragen und mögliche Antworten schossen ihr durch den Kopf. Wer hatte ihr das Armband geschenkt? Warum war es versteckt worden? War der Matrose ihr Geliebter gewesen?
    Ein Doppeldeckerbus fuhr vor. Cate stieg nach oben und wählte einen Platz am Fenster.
    Sie blickte über den hübschen kleinen Park und bewunderte die sahneweißen georgianischen Reihenhäuser und das Brompton Oratory. Gebieterisch, wenngleich schief, wiesen seine Mauern noch Löcher und Brandschäden von den Bomben des Zweiten Weltkriegs auf. Es war erstaunlich, welche Nachwirkungen dieser Krieg in London noch heute hatte. Etliche Gebäude der Stadt war immer noch gezeichnet, die Wunden teils so frisch, als stammten sie aus der vergangenen Nacht. Cate überlegte, ob Baby Blythe je durch diese Straßen gegangen war − vielleicht, um jemanden zu besuchen oder um in der Kirche an einer Hochzeit teilzunehmen. Cate hatte das unheimliche Gefühl, dass sich ihre Leben miteinander verflochten, über die Jahrzehnte hinweg einander überlagerten.
    Jemand starrte vom Gehweg zu ihr herauf. Ein Mann, groß, dünn, mit Brille, blickte sie aufmerksam an. Sie wandte sich ab, hielt die Hand schützend vors Gesicht und überlegte fieberhaft.
    Ein Mann … mit Brille … wie der, der den Umschlag abgegeben hatte.
    War er ihr gefolgt? War es Zufall, oder war er geschickt worden, angeheuert, um über ihren Verbleib zu berichten? Sie war sich ganz sicher, dass er sie immer noch anstarrte.
    Der Bus fuhr von der Haltestelle los. Automatisch drehte Cate sich um und blickte zurück. An der Haltestelle drängte sich eine Gruppe ausländischer Studenten. Sie konnte ihn nicht sehen. Vielleicht war sie albern und der Mann das Produkt einer überreizten Phantasie. Doch sicher sein konnte sie sich nicht.
    Ihr Herz pochte. Plötzlich war London nicht mehr der sichere Hafen, für den sie es gehalten hatte. An jeder Biegung, an jeder Straßenecke konnte ein finsterer Fremder auftauchen.

* * *
    5 St. James’s

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