Debütantinnen - Roman
durch den Flur, holte sie, ging zurück ins Bett und schob sich die Vergrößerungsgläser auf die Nase.
Ihre Augen brauchten einen Augenblick, um sich anzupassen. Der huschende Schatten nahm Gestalt an.
Es war ein kleiner Hund.
Um seinen Hals glitzerte ein diamantbesetzes Halsband.
*
* * *
5 St. James’s Square
London
2. April 1936
Mein Liebes,
ja, ich habe mich mit Malcolm zum Mittagessen getroffen. Und genau, wie ich vorhergesagt habe, ergoss er einen tadelnden Monolog von epischer Breite über mich − er hat von der Suppe bis zum Sauternes kein einziges Mal Luft geholt. Am Ende habe ich es aufgegeben, hier oder da mal ein Wort einwerfen zu wollen, und habe mich stattdessen damit amüsiert, mir mit den Dingen, die auf dem Tisch zu finden waren, verschiedene Methoden auszudenken, ihn umzubringen. Sobald man über die allzu offensichtlichen Möglichkeiten hinaus ist − mit dem Messer erstechen, mit der Gabel zu Tode kratzen, an einer aus dem Tischtuch gedrehten Schlinge erhängen −, ist es eine interessante Herausforderung. Besonders stolz bin ich auf Ersticken durch Einflößen exzessiver Mengen gelierter Minzsoße, in Brandy tunken und dann anzünden oder Ersticken durch gewaltsames Rammen einer Serviette in die Kehle. (Damit habe ich mich eine ganze Weile amüsiert.) Natürlich funktionieren alle Methoden nur, wenn das Opfer entweder sehr betrunken oder wirklich wahnsinnig entgegenkommend ist. Zu dem Löffel ist mir leider nichts Sinnvolles eingefallen.
Warum tust Du mir das an, mein Liebes? Ich begreife einfach nicht, was Du Dir davon erhoffst, uns zwei dauernd zusammenzubringen! Er hasst mich und hält mich für eine Närrin. Ich kann noch so viel Zeit damit verbringen, im Dorchester einen Hummer Thermidor zu zerteilen, das wird nichts daran ändern. Dich dagegen würde ich sehr gern einmal zum Mittagessen treffen − wo und wann auch immer!
Bitte, bitte, zwing mich nicht noch einmal, mit Deinem Mann zu speisen. Mag ja sein, dass mir noch nichts Gemeines eingefallen ist, was man mit einem Löffel machen kann, aber das ist womöglich nur eine Frage der Zeit …
Deine
Baby
J ack saß mit einer Flasche Rotwein auf seiner Dachterrasse. Die Hitze hüllte ihn ein wie eine riesige schwitzende Hand. Er schob sich das Haar aus dem Gesicht.
Eine Geliebte. War das dasselbe wie eine Liebhaberin?
Eine Geliebte – das klang kälter, kalkulierter. Normalerweise ging es dabei auch um Geld. Und vor allem um Betrug.
Übelkeit stieg in ihm auf, gefolgt von Enttäuschung.
Sie hatte recht, er konnte es nicht gutheißen.
Doch es gelang ihm auch nicht, nicht an sie zu denken. Seine Gedanken, sein ganzer Körper, war bereits im Spiel und wurde gegen alle Vernunft zu ihr hingezogen. Sein Verstand war nutzlos und hatte ihr, auch wenn sie noch so widersprüchlich war, nichts entgegenzusetzen.
Er trank noch einen Schluck und schenkte sich sein Glas wieder voll.
Er konnte nicht schlafen, versuchte es nicht einmal.
Diese Jahreszeit war sowieso schwierig. Es war der Prolog. Und die Hitze tat ein Übriges, denn sie rief ihm die ersten schrecklichen Wochen … direkt nach dem Unfall ins Gedächtnis.
Er erinnerte sich nur zu gut daran, wie er nach dem Tod seiner Frau durch die Tage gegangen war, taub, verzweifelt. Jetzt war dieses Gefühl wieder da, derselbe erschreckende Kontrollverlust.
Er rutschte auf dem Stuhl herum, als könnte er damit sein inneres Unbehagen lindern. Doch das gelang ihm nicht.
Es waren dumme Kleinigkeiten gewesen, die ihn überwältigt, seine ganze Existenz knirschend zum Halten gebracht hatten, etwa, mit welchen Blumen die Kirche zum Gottesdienst geschmückt werden sollten, wie die Todesanzeige zu formulieren war, die endlosen Beileidskarten, was er mit ihren Kleidern und persönlichen Besitztümern machen sollte.
Er trank noch einen Schluck.
Ihre persönlichen Besitztümer.
Eine Weile hatte er mit ihnen gelebt. Er begriff einfach nicht, dass sie sie nicht mehr brauchte. Er hatte das Gefühl, sie wäre entsetzt, wenn sie zurückkäme und er hätte alles weggeworfen. Mehr als aufstehen, sich anziehen und zur Arbeit gehen hatte er in der Zeit nicht zustande gebracht.
Damals hatte Paul noch gelebt. Paul, der ihn angestellt hatte, der ihn vorangebracht und ihm einen sicheren Ort angeboten hatte, wo er zusammenbrechen konnte. Nach dem Unfall hatte er Jack sogar dann zur Arbeit kommen lassen, wenn nicht viel zu tun war, nur damit er im Büro sitzen und unter Menschen sein konnte. Jack hatte
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