Debütantinnen - Roman
Fehler gemacht, dumme, fahrlässige Fehler, für die jeder andere an die Luft gesetzt worden wäre. Doch Paul hatte sich ruhig darum gekümmert, hatte die Fehler korrigiert, ohne groß darauf hinzuweisen, und hatte ihn so manches vermasseln lassen. Doch so war Paul eben. Er machte kein großes Drama aus dem, was das Leben für ihn bereithielt. Er setzte Jack auch nicht unter Druck und sorgte sich nicht übermäßig. Manchmal ging er in der Mittagspause ein Bier mit ihm trinken und ließ ihn über das reden, wonach ihm der Sinn stand. Jack erinnerte sich daran, dass er mit Paul über die Kleider gesprochen hatte. Damals war ihm das wie ein schreckliches Dilemma vorgekommen. Paul hatte ihm keinen Rat gegeben. Er hatte nur zugehört, ab und zu genickt und ein interessiertes Gesicht gemacht. Jack hatte sicher monatelang davon gesprochen. Doch Paul schenkte ihm stets seine ungeteilte Aufmerksamkeit und tat immer so, als wäre es das erste Mal, dass Jack es erwähnte. Erst später, vielleicht anderthalb Jahre später, begriff Jack, dass er verrückt gewesen war, außer sich vor Trauer. Damals hatte er gedacht, er würde eine ziemlich glaubwürdige Imitation eines Mannes zuwege bringen, der eine harte Zeit durchmacht. In Wirklichkeit war es nur seine Verblüffung darüber, dass er überhaupt etwas zustande brachte, was glaubhaft die Illusion von Normalität vorspiegelte. Doch in Wahrheit war er wahnsinnig gewesen, eindeutig; nur einen Schritt entfernt von den Leuten, die auf der Straße mit sich selbst sprachen und ihre Monologe gelegentlich mit Tiraden über Passanten oder Tauben spickten. Auch ihn hatte der Abgrund gelockt, und er hatte eine ganze Weile am Rand gestanden und geschwankt.
Oder war er gestürzt?
Er überlegte und trank noch einen Schluck. Der Wein war warm, bitter.
War er immer noch dort, kletterte er sogar jetzt noch langsam und mühevoll nach oben?
Um die Kleider hatte sich schließlich Suzanne gekümmert. Suzanne war die Schwester des Mannes in dem anderen Auto. Es hatte einen gemeinsamen Gedenkgottesdienst gegeben, in dem sie eine sehr aktive Rolle gespielt hatte. Sie organisierte gern Veranstaltungen, Karrieren, Leben. Groß und blond und an ein Pferd erinnernd, mit guter Ausbildung und schlechten Zähnen, hatte es Suzanne gefallen, unter den Umständen stark und zielstrebig zu sein. Sie leitete eine Personalberatungsagentur, sie war klug, effizient und bemüht, gefällig zu sein. Und nachdem der Gedenkgottesdienst vorüber war, hatte sie ihre Aufmerksamkeit auf Jack gerichtet.
Sie hatte eine Art informelle Unterstützungsgruppe für die von dem Unfall betroffenen Freunde und Verwandten gegründet und Jack unter diesem Vorwand ziemlich viele E-Mails geschickt, in denen sie ihn auf dem Laufenden hielt, was alle machten, und verschiedene Zusammenkünfte organisierte. Jack wollte nicht plaudern, und er wollte auch keine Unterstützung von anderen trauernden, niedergeschmetterten Menschen. Er wollte in Ruhe gelassen werden und mit einem klaffenden Loch dort, wo eigentlich sein Herz und seine Erinnerungen waren, durch London wandern und in der großen englischen Tradition der Verrücktheit wie von Sinnen sein. Wollte mit eloquentem Stoizismus um seinen Verlust herumreden, statt mit einem hellen Suchscheinwerfer und amerikanischen Therapiegesprächen kühn mitten hineinzuschreiten.
Doch so leicht ließ Suzanne ihn nicht vom Haken. Und er besaß nicht immer genügend innere Ressourcen, um sich ihr zu widersetzen. Sie rief öfter an unter dem Vorwand zu schauen, ob es ihm gut ginge, zu fragen, ob sie etwas für ihn tun könne, und ein Mal, ein einziges Mal nur machte er den Fehler zu zögern. »Also, ich weiß nicht recht, was ich mit ihren Kleidern machen soll …«
Sie schnappte scharf nach Luft. »Du hast ihre Kleider noch?« Es klang, als wäre er zum Transvestiten mutiert, als würde er die Sachen abends liebevoll streicheln.
»Ähm, ja …«
»Gut. Alles klar. Ich komme morgen vorbei, und dann räumen wir die Schränke auf.«
»Nein. Das ist sicher nicht …«
»Nein, Jack, ich bestehe darauf. Jemand muss sich darum kümmern. So kann das nicht weitergehen.« Wieder klang es, als hätte er ein Jahr lang den Müll nicht rausgebracht, als wäre an seinem Verhalten irgendetwas moralisch Unhygienisches.
Sie hatte einen Weg gefunden. Und Jack war entsetzt, als sie mit ihrer großen, blonden Lautstärke in sein privates Territorium eindrang, mit ihrem blumigen Parfüm, ihrer furchteinflößenden
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