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Debütantinnen - Roman

Titel: Debütantinnen - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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spielte sein Hirn immer wieder dasselbe ab: den Augenblick, als die Wirklichkeit über ihn hereingebrochen war, den Anruf an diesem frühen sonnigen Sonntagmorgen. Er hatte gedacht, so früh am Tag könnte es nur Julia sein, doch wie sich herausstellte, war es ein Polizeibeamter aus Berkshire, und er sagte Dinge, die keinen Sinn ergaben, die einfach nicht wahr sein konnten. In der einen Minute döste er noch behaglich, genoss die Freiheit, das Bett ganz allein für sich zu haben, lauschte dem Vogelzwitschern draußen und überlegte, was er mit dem freien Tag anfangen sollte. In der nächsten Minute saß er aufrecht im Bett, die Vögel schienen zu schreien und nicht zu singen, und er stürzte innerlich mit furchterregender Geschwindigkeit ab und hatte nichts, woran er sich festhalten konnte.
    »Sie ist bei ihrer Schwester«, wiederholte er wieder und wieder. »Sie kann es nicht sein.«
    Der Beamte sprach langsam, geduldig. »In ihrem Ausweis steht Julia Coates. Sie hat dunkelbraunes Haar und fährt einen schwarzen Mini Cooper.«
    »Ja, aber …«
    »Sie müssen herkommen, Sir.«
    »Aber das kann unmöglich sie sein!«
    »Sir«, der Mann unterbrach sich, »wie können Sie sich da so sicher sein?«
    Ja, wie konnte er sich da so sicher sein? Ein Riss bildete sich, ein einfacher Haarriss in der dünnen Schale seines Ego. Und dann wurde der Riss immer breiter, immer vernichtender, je länger der Tag fortschritt, bis jedes Gefühl dafür, dass er seinen Sinnen oder seiner Vorstellung von der Welt und den Dingen trauen konnte, sich für immer in Wohlgefallen aufgelöst hatte.
    »Sir?« Der Beamte wartete. »Möchten Sie, dass ich für Sie Kontakt mit ihrer Schwester aufnehme? Wenn Sie mir ihren Namen und ihre Telefonnummer geben, kann ich gern direkt mit ihr reden. Sir? Sind Sie noch dran?«
    Jack hatte von Menschen gehört, deren Welt von einem auf den anderen Augenblick vollkommen aus den Fugen geriet. Äußerlich hatte er Mitgefühl gezeigt, doch insgeheim hatte er sich gegenüber solchen Schicksalsfügungen gefeit gefühlt, ja, sogar überlegen. Schließlich glaubte er nicht an das Schicksal. Es ging einzig um die innere Einstellung und darum, sich Mühe zu geben. Er ganz allein bestimmte über sein Schicksal.
    Nur dass sich das ebenfalls als Illusion erwies. Er bestimmte ganz und gar nicht über sein Schicksal. Das Einzige, worüber er jetzt noch zu bestimmen hatte, waren seine Reaktionen, sein Verhalten, wie er mit dem umging, was das Leben ihm zuteilte. Auch wenn ihm das nicht reichte, auch wenn er mehr wollte.
    Die Griechen hatten es Hybris genannt. Was, zum Teufel, wussten die Griechen schon?
    Über Tragödien wussten sie jedenfalls mehr als ich, dachte er sarkastisch.
    Julias Schwester hatte nicht persönlich mit ihm gesprochen. Die Familie, die ihn einst willkommen geheißen hatte und auch seine Familie gewesen war, besonders nachdem der Zustand seines Vaters sich verschlechtert hatte, zog sich ganz von ihm zurück. Und er stellte fest, dass er augenblicklich isoliert war. Ihre Loyalität galt allein Julia. Niemand sagte je direkt etwas, kein Wort wurde je darüber verloren, wie man sie gefunden hatte. Sie betrauerten den Verlust der Schwester, der Tochter. Er blieb allein mit der Trauer um den Verlust seiner Ehe. Der Riss wurde breiter. Eine unausgesprochene Feindseligkeit wuchs zwischen ihnen − erbaut aus ungesagten Worten −, eine Art Verteidigungshaltung auf beiden Seiten, die sich nach und nach zu einer Mauer verfestigte. Glaubten sie etwa, er hätte etwas mit ihrer Untreue zu tun? Er hätte sie durch Vernachlässigung oder Ehebruch seinerseits dazu getrieben? Hatte sie sich ihnen anvertraut, wie unzufrieden sie in der Ehe war? Und es wuchs weiter wie eine Art Netz und erstreckte sich bald auch auf ihre Freunde − Freunde, von denen er dachte, sie wären auch seine Freunde, bis er feststellte, dass sie ihm bei der Beerdigung kaum in die Augen sehen konnten und immer seltener anriefen.
    Nicht er war untreu gewesen. Und doch hatte er das Gefühl, für die Affäre bestraft zu werden.
    Er war derjenige, der zurückblieb.
    »Es wird Zeit, dass du nach vorn siehst«, sagten die Leute irgendwann, kaum sechs Monate später. »Du musst loslassen.«
    Ja, er musste loslassen, es akzeptieren und die wachsende Gleichgültigkeit derer ertragen, von denen er gedacht hatte, es würde ihnen etwas an ihm liegen. Er musste erwachsen werden, weitermachen.
    Das Leben war nicht fair. Wer hatte je behauptet, das Leben wäre

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