Debütantinnen - Roman
nicht, um es hinter mir zu lassen, ein für alle Mal. Um meinen Frieden damit zu machen. Und dann waren da diese Rosen.«
»Woher weißt du, dass sie von ihm waren?«
»Es war ganz offensichtlich. Es war eine Karte dabei.«
Rachel richtete den Blick wieder auf ein Kind mit Sonnenhut, das auf den schiefen Felsen wankte und sich mit einem pummeligen Händchen an die Hand seiner Mutter klammerte, in der anderen ein winziges Netz. »Das tut mir leid, Paul.«
Diesmal korrigierte Jack sie nicht. Er wusste um die Spannung, die die beiden Welten, die sichtbare und die unsichtbare, miteinander verband, sie manchmal miteinander verschmolz, besonders in solchen Augenblicken.
Er brach ein Krebsbein auf und zupfte das weiche, weiße Fleisch heraus. »Paul hat immer gesagt, wir würden nicht verzeihen, weil wir müssten, sondern weil wir die Wahl hätten.« Er steckte sich das Fleisch in den Mund. »Das habe ich schon damals nicht verstanden und verstehe es bis heute nicht.« Er schaute auf und lächelte.
Rachel starrte ihn mit einem seltsamen Gesichtsausdruck an. »Was hast du da gerade gesagt?«
Jack dachte, er hätte sie womöglich gekränkt. Er versuchte, es zu erklären. »Na ja, er hat manchmal darüber gesprochen. Ich habe mich nach der Arbeit im Pub betrunken und ihn halb zu Tode gelangweilt. Dass ich mir sicher war, dass Julia mich betrogen hatte, dass ich nicht darüber hinwegkam. Und er hat einige interessante Gedanken zu der ganzen Sache geäußert.«
»Zum Beispiel?« In ihrer Stimme, in der ganzen Art, wie sie sich auf ihrem Stuhl vorbeugte, um ihm zuzuhören, lag eine gewisse ruhige Eindringlichkeit.
»Zum Beispiel … also …« Ihre plötzliche Aufmerksamkeit irritierte ihn. Er versuchte, sich genau zu erinnern. Er konnte sich Paul vor Augen führen, wie er im Pub gleich beim Büro um die Ecke, dem Wig and Gown, am hinteren Ende der Bar saß. Er konnte ihn deutlich sehen, wie er sich, die Hemdsärmel aufgerollt, sein dickes graues Haar aus dem Gesicht schob; seine intelligenten dunklen Augen voller Geduld und das Mitgefühl in seiner Stimme, abgeschwächt durch eine ironische, fast Urlondoner Direktheit. Wie viele Stunden hatte Paul bei Jack gesessen, sich seine Litanei aus Ängsten und Groll angehört, ihm Gesellschaft geleistet, während Jack einfach nicht klug wurde aus dem Ganzen, es hin und her drehte wie einen Zauberwürfel. Jack konzentrierte sich und versuchte, diese Erinnerung und Pauls Worte exakt wiederzugeben. »Er sagte zum Beispiel: › Du hast keinen Grund zu verzeihen. Niemand würde dir einen Vorwurf machen, wenn du ihr bis an dein Lebensende nicht verzeihen würdest. Natürlich könnte ich dir erzählen, dass du dich besser fühlen würdest, wenn du es tätest, dass du vielleicht länger leben würdest, wenn du nicht so zornig wärst, dass du dich körperlich besser fühlen würdest und so weiter. Aber ich weiß, dass dir das im Augenblick alles ziemlich egal ist. ‹ « Er lächelte. »Du weißt ja, wie er immer geredet hat.«
»Ja.« Ihre Züge wurden von einer Erinnerung überschattet. »Fahr fort.«
»Er wollte auf Folgendes hinaus: Wir verzeihen nicht, weil es einfach ist oder richtig, aber wir haben die Wahl, zu vergeben, und das an sich ist mächtig. Diese Wahl ist eine Bestätigung, eine Bereitschaft, das Leben zu seinen Bedingungen anzunehmen. Und ein Privileg, das einem niemand nehmen kann. Dies gehört zu den Dingen, die uns vom Rest der Natur trennen und uns in die Nähe zum Göttlichen rücken. Tiere können nicht verzeihen, sie sind Opfer dessen, was ihnen im Leben widerfährt. Sie können sich nicht bewusst entscheiden, etwas, das sie angegriffen hat, oder etwas Nachteiliges und Ungerechtes zu akzeptieren. Sie können sich nicht entscheiden, es in ihre Persönlichkeit zu integrieren und ihre Abneigung dagegen zu überwinden. Siehst du, darüber hat er auch sehr viel geredet. Er sagte immer wieder: › Du musst es schlucken, Jack. Je mehr du versuchst, es dir auf Armeslänge vom Hals zu halten oder es loszuwerden, desto giftiger wird es. Und was du dir wirklich auf Armeslänge vom Leib hältst, ist das Leben − die Erkenntnis, dass auch das zum Leben dazugehört. Es ist viel leichter, es zu schlucken wie eine Auster. Dann wird es ein Teil von dir, und wenn du dich ihm nicht widersetzt, macht es dich stärker. ‹ «
»Es wird ein Teil von dir«, wiederholte Rachel leise.
Sie wandte das Gesicht ab.
Sie hatte gedacht, sie wäre allein gewesen mit ihrer Schuld und ihrem
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