Decker & Lazarus 07 - Weder Tag noch Stunde
begleitet haben.«
»Ich muß Sie begleiten«, wehrte der Soldat mürrisch ab. »Wer weiß denn heutzutage noch, wer ein Terrorist ist?«
»Ich bin keine Terroristin.«
Der Soldat schloß die Augen, dann öffnete er sie wieder. »Ich habe mit meinen eigenen Augen gesehen, daß Sie eine gute Frau sind. Weil ich Ihnen in die Ma’arat gefolgt bin. Ich habe Tränen in Ihren Augen gesehen, als Sie beteten, und den Ausdruck in Ihrem Gesicht, als Sie Schemona esre dawent haben. Ich habe gehört, wie Sie die Worte klar und sicher und mit Nachdruck und Bedeutung gesprochen haben. Ich habe Ihre Haltung, Ihren Ernst gesehen. Das scheint durch, als hätten Sie ein Fenster über dem Herzen. Sie beten zu einem gnädigen Gott, nicht zu einem Gott der Rache. Viele beten hier – Araber und Juden. Ich glaube nicht, daß Sie eine verrückte Fanatikerin sind. Und ich glaube auch nicht, daß Sie eine arabische Spionin sind. Viele versuchen so zu tun, als gehörten sie zu uns, um uns zu unterwandern. Sie sprechen unsere Sprache, essen koscheren Fisch, trinken unseren Wein und lieben unsere Frauen. Aber unseren Gott können sie nicht lieben. Sie können vielleicht unsere Gebete sprechen, aber sie sprechen sie nicht mit Gefühl«.
Der Soldat hielt inne.
»Es hat hier zu viel Blutvergießen gegeben, und schuld daran sind die Kleingeister. Ich rede mit den Siedlern und versuche, ihnen zu vermitteln, daß Blutvergießen und Rache ihr Weg ist, ihre Gewohnheit, ihre Gesetze. Unser Weg ist es nicht.« Er schüttelte den Kopf. »Ich rede zu viel.«
»Sie haben ein tiefes Empfinden.«
»Das hätten Sie auch, wenn Sie diesen Job machen würden. Er ist gräßlich. Ich glaube, die Gruppe fährt jetzt nach Jerusalem ab. Ich werde Sie den Leuten vorstellen. Ich möchte nicht, daß Sie verletzt werden. Es sind schon zu viele Menschen verletzt worden.«
Nachdem er erfolglos eine Stunde herumgelaufen war, verlegte Decker sich erneut aufs Telefonieren. Als erstes wählte er Menkovitz’ Büro. Er hatte schon so oft angerufen, daß die Sekretärin ihn inzwischen an der Stimme erkannte.
»Nein, Ihre Frau ist nicht wieder hierhergekommen, Mr. Decker. Ich rufe Sie an, wenn sie auftauchen sollte.«
»Und sie hat auch nicht angerufen oder vielleicht eine Nachricht hinterlassen?«
»Nein, Sir.«
»Danke.«
»Danke.«
Klick!
Decker knallte den Hörer auf und fluchte aus vollstem Herzen.
Er probierte es bei der Polizei. Er versuchte die Situation zu erklären, scheiterte aber an der Sprachbarriere. Am Ende blieb ihm nichts als warten.
Drei Stunden! Wo, zum Teufel, konnte sie hin sein?
Zeit für eine Erdkundestunde über den Nahen Osten.
Wieder einmal hörte Decker gerade lange genug mit dem Herumtigern auf, um sich die Straßenkarte der Region anzusehen. Es war so ein kommentiertes Ding, das er in dem überteuerten Buchladen unten gekauft hatte. Er konnte einfach nicht glauben, wie teuer es da war! Sie hatten elf Mäuse für ein Taschenbuch verlangt!
Er atmete tief durch und versuchte, sich zu beruhigen. Er beugte sich über den Tisch, studierte die Karte, fuhr die gewundenen, farblich kodierten Linien entlang. Wenn Rina die ganze Zeit mit etwa sechzig Meilen immer geradeaus gefahren wäre, wäre sie inzwischen in Amman in Jordanien! Oder in nördlicher Richtung wäre sie im Libanon auf dem Weg nach Beirut. Kairo sah aus, als würde es sehr viel länger dauern.
Angewidert krumpelte er die Karte zusammen, warf sie an die Wand und bedauerte im selben Moment seine Impulsivität. Er fluchte noch einmal, dann strich er die zerknitterten Straßen wieder glatt.
Da drang ihm ein Geräusch ans Ohr. Ein Schlüssel wurde ins Schloß gesteckt! Decker sprang hoch und riß die Tür auf, um im selben Moment Rina hereinzuzerren. Sie nahm die Hand vom Türknauf und hielt sie in die Luft.
»Warte mit deiner Predigt, bis ich die Tür zugemacht habe.«
Decker rührte sich nicht.
Ganz langsam zog Rina den Schlüssel heraus und schloß die Tür. Sie lehnte sich gegen die Wand und atmete aus. Jetzt konnte der Angriff kommen.
Decker rang um Fassung und zischte hinter zusammengebissenen Zähnen: »Ich weiß nicht, ob ich dich umbringen oder umarmen soll. Ich bin fürs Umarmen.«
Er hielt sie so fest, daß er meinte, sie müsse zerbrechen. Rina ließ sich willenlos von ihm umfangen. Sie fühlte sich so behütet in seiner Umarmung. Sie war fest entschlossen, nicht zu weinen, und stolz auf sich, als tatsächlich keine Tränen kamen. In Wirklichkeit hatte sie
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