Decker & Lazarus 07 - Weder Tag noch Stunde
jeden einzelnen Mann und jede Frau in der israelischen Armee dazu. Und wie meinte sie denn wohl, daß sie wieder zurückkommen würde, nun, wo sie einmal in Hebron war? Ach ja, natürlich, Gott würde es schon richten. Die Standardantwort für alles. Gott würde es richten. Nur daß Gott nicht hier draußen war und schwitzte wie die Behejme – wie das Vieh – und jede Sekunde von seinem Dienst nach hinten sicherte und rachegetriebene Terroristen abwehrte und eine beängstigende, gefährliche Arbeit tat, nur um ein paar Verrückte zu bewachen, die meinten, kollektiver Selbstmord sei eine Tugend.
Ganz plötzlich hielt er inne, pfiff durch die Zähne und fuhr vorsichtig mit dem Finger das Einschußloch nach. »Es ist so unglaublich dumm, hier herauszukommen. Niemand kommt hierher, erst recht keine Frau. Wer sind Sie? Eine verkleidete Terroristin?«
Rina versicherte ihm, daß sie keine Terroristin war.
Der Mann schien keineswegs beruhigt und fragte, was um alles in der Welt er jetzt mit ihr machen sollte.
Rina sprach leise und mit Betonung. »Ich werde warten, bis einer der Jeeps nach Jerusalem zurückfährt. Es tut mir sehr leid, daß ich Ihnen Schwierigkeiten mache. Ich habe einen großen Fehler gemacht. Ich weiß zwar, was hier vor sich geht, aber ich nehme an, daß alte Gewohnheiten einfach schwer abzulegen sind. Ich habe vor zwölf Jahren hier gelebt, und ich erinnere mich an ein ganz anderes Israel.«
»Ein sehr, sehr viel anderes Israel.« Der Soldat stand jetzt bequem und sah ihr in die Augen. Sie lächelte ihn an. Das schien seine Wut einzudämmen. Er sagte: »Sie sprechen sehr gut hebräisch. Wie lange haben Sie hier gelebt?«
»Ungefähr drei Jahre. Damals konnte man die Hauptstraßen bedenkenlos benutzen. Wenn man natürlich in entlegene Gebiete kam und durch einen kleineren Ort fuhr, hatte man immer eine Waffe dabei. Ich wünschte, ich hätte jetzt auch eine.«
Der Soldat sah sie mißtrauisch an. »Daran hätten Sie denken sollen, bevor sie hier aufgetaucht sind wie ein amerikanischer Cowboy.«
»Ja, das hätte ich wohl.« Rina sah zum Himmel auf. »Ist die Ma’arat geöffnet?«
Der Soldat wechselte die Uzi von einem Arm zum anderen. »Im Augenblick ja, bis der nächste Zwischenfall passiert und sie wieder geschlossen wird.«
»Dann kann ich ja hineingehen«, sagte Rina. »Und wenigstens das tun, weswegen ich hergefahren bin.« Ihre Augen füllten sich plötzlich mit Tränen. »Wer weiß? Vielleicht sehe ich sie nie wieder?«
Der Soldat sah müde über die Schulter zu dem Mausoleum hinüber, das zwei verschiedenen Nationen heilig war. Er schüttelte den Kopf, als wäre die Religion die Wurzel allen Übels. »Vorher muß ich Ihre Tasche überprüfen.«
Rina gab sie ihm. Er wühlte darin herum, untersuchte den Inhalt, prüfte ihren Paß, dann gab er ihr die Tasche zurück. »Hokay«, sagte er auf englisch. »Hokay, gehen Sie. Ich komme mit.«
»In die Ma’arat ?« fragte Rina auf hebräisch. »Aber sie ist bewacht. Mir wird nichts passieren.«
»Ich komme trotzdem mit.«
»Sie trauen mir nicht«, stellte Rina fest. »Das verstehe ich. Dann kommen Sie mit.«
Der Soldat rückte den Riemen seiner Uzi zurecht, dann ließ er ihr mit ein paar hebräischen Worten den Vortritt.
Der jüdische Name für Hebron war Kiryat Arba – wobei Kiryat » Stadt« bedeutet und arba »vier« – weil die Stadt die Ma’arat Ha-Machpela beherbergte, die Höhle der Paare. Genau gesagt lagen vier Ahnenpaare in einer Höhle unter dem Mausoleum begraben: Abraham und Sarah, Isaak und Rebekka, Jakob und Leah und Adam und Eva. Der heilige Ort war außerdem die Ruhestätte des abgeschlagenen Kopfes von Jakobs Bruder Esau, den Chushin, Sohn des Dan, abgetrennt hatte. Er hatte seinen Großonkel enthauptet, nachdem Esau und seine Neffen sich nicht über die Beerdigung einigen konnten. Der Körper war außerhalb der Mauern liegen geblieben, aber der Kopf war nach innen gerollt. Nach langen Diskussionen stimmten die Neffen schließlich zu, daß der Kopf in der für die Ahnen bestimmten Höhle beigesetzt wurde.
Daran dachte Rina, als sie den Schrein betrat. Das Mausoleum hatte viele Transformationen durchgemacht, vom jüdischen Schrein zur christlichen Kirche, dann schließlich, etwa im dreizehnten Jahrhundert, zu einer großen moslemischen Moschee. Rina hatte keine Ahnung, warum Moslems ausgerechnet in einem Schrein beten wollten, in dem jüdische Patriarchen und Matriarchen begraben lagen. Ihr war klar, daß Abraham
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