Decker & Lazarus 07 - Weder Tag noch Stunde
ihr gesagt, daß Gil unter Schock gestanden habe. Der Teenager aber, den Rina jetzt sah, war hellwach. Er sah sie lange mit durchdringenden Augen an, die ihren Wert abzuschätzen schienen. Rina lächelte ihn an, konnte ihn damit aber nicht ermuntern, ähnlich zu reagieren.
Schließlich sagte Tziril: »Gil, diese Frau ist gekommen, um dir zu helfen. Du mußt ihr sagen, was du weißt.«
Gil blieb stumm.
»Gil –«
»Ich habe es gehört, Sawta«, flüsterte Gil.
Rina setzte sich auf die Bettkante. Gil war eher ein junger Mann als ein Knabe. Der Bart mußte erst noch richtig wachsen, aber auf Oberlippe und Wangen sprossen schon die ersten Stoppel. Seine Wangen waren ausgehöhlt, die Augen müde. Rina wartete einen Moment, dann versuchte sie es noch einmal mit einem Lächeln. Er lächelte immer noch nicht zurück, aber immerhin reagierte er diesmal überhaupt.
Gil sah seine Großeltern an und sagte auf hebräisch: »Ich muß mit ihr allein sein.«
Moshe Yalom erhob sich und sagte: »Ich könnte eine Tasse Kaffee vertragen.« Er nahm seine Frau bei der Hand, und sie verschwanden durch die Tür. Gil sah ihnen nach, dann richtete er den Blick auf Rina. Auf englisch sagte er: »Meine Sawta hat gesagt, daß Sie die Frau von diesem Cop sind? Von dem, der die Jeschiwa gerettet hat.«
Rina nickte. Die Stimme des Jungen war leise und sanft. Rina konnte sehen, daß der Wachmann sich alle Mühe gab mitzuhören.
»Woher wußten Sie, daß ich dort war?«
»Reines Glück. Wir haben alle Ba’alei-Tschuwa – Jeschiwas abgesucht. Eigentlich hatten wir Dov dort vermutet. Man hatte uns gesagt, daß er vor einiger Zeit frum gewesen ist.«
»Ja, dem hat mein Dad ganz schnell ein Ende bereitet.«
Die Feststellung troff vor Sarkasmus. Rina sagte mit unverändert behutsamer Stimme: »Hast du deshalb deine Großeltern rausgeschickt? Weil du nicht wolltest, daß sie etwas Negatives über deinen Vater hören?«
Gil antwortete nicht, sah sie nur an. Dann sagte er: »Werde ich nach L. A. ausgeliefert?«
»Ich weiß nicht, ob ausgeliefert die richtige Bezeichnung ist. Sergeant Decker ist hierher geschickt worden, um dich und deinen Bruder nach Los Angeles zurückzubringen.«
Gil schaute zur Decke. »In gewisser Weise ist es eine Erleichterung. Ich hätte von Anfang an nicht weggehen sollen. Aber wenn man in Panik ist, trifft man schlechte Entscheidungen.«
»Warum bist du nicht zur Polizei gegangen?«
»Dafür hatte ich meine Gründe.«
Rina rückte näher heran und sagte sehr leise: »Dein Dad hat euch mit den Porzellanhunden gewarnt.«
»Nicht mein Dad, meine Mom –« Gil stockte. Seine Augen weiteten sich. »Verdammt, Sie wissen alles, stimmt’s?« Er wartete eine Sekunde. »Wissen Sie, daß Ihr Mann mich fast umgebracht hätte, indem er mich gefunden hat? Sie sind ihm gefolgt, um an mich heranzukommen.«
»Mit sie meinst du Milligans Leute?«
Bei der Erwähnung dieses Namens wurde Gil leichenblaß. »Sie haben Ihren Mann benutzt, um mich zu finden. Er hat ihnen perfekt in die Hände gespielt. Ist er blöde oder was?«
Rina wußte, daß es genau umgekehrt gewesen war. Milligan hatte Gil vor ihnen lokalisiert. Sie hatte die Bombe in der Jeschiwa gelegt, um Decker dorthin und vom eigentlichen Ziel, der Bursa, fortzulocken. Aber sie ging auf ihn ein. »Milligan war hinter dir her, weil du zu viel wußtest.«
Gil nickte.
»Wir wissen auch eine Menge, Gil«, erklärte Rina. »Wir wissen von den Aktien und dem Landbesitz deines Vaters in Angola. Wir wußten, daß Milligan dahinter her war und daß dein Vater nicht zu ihrem Preis verkaufen wollte. Also ließ sie deine Eltern ermorden, weil sie sich dachte, daß sie mit zwei Jungen besser fertig werden würde. Aber ihr zwei seid geflohen, bevor sie zum Zuge kam. Dann ist sie hierher, um nach euch zu suchen.«
Der Junge senkte die Lider und schwieg.
»Ehrlich gesagt sind wir nicht so dumm, wie du glaubst«, stellte Rina klar. »Weißt du, wo dein Bruder ist? Mein Mann macht sich wirklich große Sorgen um ihn.«
»Er ist in Sicherheit. Aber er hat auch Heimweh. Nicht daß einer von uns noch so etwas wie ein Heim hätte.«
Jetzt begannen Gil Yalom die Tränen über die Wangen zu laufen. »Sie wissen nicht soviel, wie Sie denken.«
»Dann erzähl’s mir.«
Es wurde still im Raum. Gil flüsterte mit dem Gesicht zur Decke. »Das Schwein hat mit ihr geschlafen. Sie hatte ihn völlig in der Tasche, das dumme Arschloch !« Er schüttelte den Kopf. »Entschuldigen Sie bitte die
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