Decker & Lazarus 07 - Weder Tag noch Stunde
den Bahngleisen. Hier endete die Straße. Zu Rinas Rechten stand ein mehrstöckiges Gebäude aus Stein und Glas, das überhaupt nicht in die Umgebung paßte. Sie stellte den Wagen ab, stieg aus und ging hinein.
Die Lobby war groß und lichtdurchflutet, die weißen Marmorböden schimmerten unter den Strahlen der Sonne. An der Tür überprüfte ein Wachmann Rinas Handtasche. Sie ging hinein, sah einen Informationsschalter und blieb dann zögernd stehen. Hinter dem Tresen stand ein Wachmann und daneben eine junge Frau in weißer Uniform. Sie hatte ein von kurzem schwarzen Haar umrahmtes Koboldgesicht. Zwei Augenpaare musterten Rina und zogen sich mißtrauisch zusammen.
Normalerweise war das Personal in Krankenhäusern nicht so argwöhnisch. Die Angst nach dem Bombenanschlag hatte die Leute wachsamer gemacht.
Wie sollte sie es am besten angehen?
Rina schlug die Augen nieder und ging schleppend weiter. Sie trat zu der Koboldfrau vor, auf deren Namensschild Orly stand. Rina sprach sie auf hebräisch an. »Meine Freundin hatte eine schreckliche Fehlgeburt. Ich möchte sie gern besuchen.«
Orly war von Kopf bis Fuß geschäftsmäßig. »Name?«
»Sarah Yardin«, sagte Rina. »Yardin wie die Weinkellerei.«
Orly sah in ihrem Computer nach. »Wir haben hier niemanden, der Yardin heißt.«
Rina kratzte sich durch das Tuch, das ihr Haar bedeckte, am Kopf. »Sind Sie sicher –«
»Natürlich bin ich sicher.«
»Könnten Sie nicht noch einmal nachsehen?«
»G’weret«, sagte Orly. »Ich brauche nicht noch einmal nachzusehen. Es gibt keine Mrs. Yardin hier im Krankenhaus.«
»Vielleicht haben sie sie aus Versehen unter Sarah eingetragen.«
Orly seufzte. »Unter Sarah ist hier auch niemand aufgeführt.«
»Könnten Sie bitte nur noch einmal nachs –«
»G’weret –«
»Sie ist meine beste Freundin. Sie hat sich so auf das Baby gefreut. Die Fehlgeburt war einfach schrecklich. Ich muß sie sehen.«
Der Wachmann verdrehte die Augen.
Rina drängte weiter. »Einmal noch? Bitte.«
Orly tippte den Namen erneut in den Computer. »Hier gibt es keine Yardin.« Sie drehte den Bildschirm herum – eine Liste von Namen, die mit dem hebräischen Buchstaben jod anfingen. »Da, Sie können es selber sehen.«
Kein Yardin, aber ein Yalom … Zimmer 346. Rina machte ein enttäuschtes Gesicht. »Wie ist das möglich?«
»Ich weiß nicht, G’weret.«
»Danke«, sagte Rina kläglich.
»Was gibt’s da zu danken? Ich habe nichts getan.«
Rina ging zum Auto zurück, nahm ihr Kopftuch ab und löste ihr Haar. Die seidigschwarze Fülle fiel ihr in Kaskaden den Rücken hinunter. Um ihr Aussehen noch mehr zu verändern, knöpfte sie die Bluse auf und krempelte den Rock in der Taille hoch. Das Tüpfelchen auf dem I war die Sonnenbrille – Peters Fliegerbrille. Sie war zu groß für ihr Gesicht, aber das gab ihr genau das Aussehen, das sie sich momentan wünschte.
Sie betrachtete ihr Spiegelbild im Autofenster – eine anständige Frau, die sich als Flittchen verkleidet hat. Ob Tamar sich wohl auch so gefühlt hatte, als sie von ihrem Vater aufgelesen wurde?
Als sie wieder in die Krankenhauslobby trat, hielt sie demselben Wachmann ihre Handtasche hin. Beim ersten Mal hatte er sie kaum bemerkt. Diesmal schon. Während er ihre Tasche durchwühlte, klebte er mit den Blicken an ihren Beinen.
Kein Wunder, daß Terroristen Frauen einsetzten.
Sie ging ins Krankenhaus hinein und betrachtete Orly und ihren Kollegen aus sicherer Entfernung. Die Frau war gut, während sie den Papierkram erledigte, ließ sie immer wieder den Blick durch die Lobby schweifen. Rina wartete. Ein junger Mann mit Blumen trat zu Orly an den Informationstresen. Zur selben Zeit war der Wachmann gerade zur Toilette geschlendert.
So eine Gelegenheit kam nicht wieder! Rina holte tief Luft und ging zielstrebig auf die Aufzüge zu. Sie war schnell, aber nicht schnell genug.
Orly rief ihr hinterher, zurückzukommen.
Rina drehte sich um und schob die Brille ein ganz klein wenig nach unten. Dann ratterte sie auf englisch: »Meinen Sie mich?«
Damit hatte Orly offenbar nicht gerechnet. Sie versuchte, englisch zu antworten. »Sie erst Passiermarke.«
»Hab ich«, trompetete Rina mit schriller Stimme. »Ich war gestern schon da und hab sie noch in der Tasche.« Sie zog ein Stück Papier heraus, hob es den Bruchteil einer Sekunde in die Höhe und drückte auf den Fahrstuhlknopf. »Ich wollte es nicht anstecken, weil man sich damit immer Löcher in die Sachen piekt, wissen
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