Decker & Lazarus 07 - Weder Tag noch Stunde
erwähnt.«
»Wann habt ihr bemerkt, daß die Hunde herumgedreht worden waren?«
»Sobald wir aus der Schule nach Hause kamen«, berichtete Gil tonlos. »Sie stehen ja ganz offen da.« Er atmete hörbar. »Wir sind in Panik geraten. Wir wußten, daß es etwas Schlimmes bedeutete. Mom hatte Geld für den Notfall für uns versteckt –«
»In der Mezuza?«
»Mein Gott, Sie wissen wirklich alles!«
»Wie viele jüdische Familien haben schon eine Mezuza auf der Innenseite der Tür?«
»Ja, klar, das fällt auf. Wenn man Jude ist.« Gil hielt inne. »Jedenfalls hat Mom uns gesagt, wir sollten nicht mit meinem Wagen fahren, weil wir vielleicht verfolgt werden würden. Wir haben uns also nur das Geld geschnappt und unsere Pässe und sind zu Fuß zu dem Einkaufszentrum gelaufen. Von dort haben wir den Bus zum Flughafen genommen. Mehrere Busse. Wir hatten uns ungefähr ein Dutzend Flugrouten ausgedacht. Also haben wir Tickets gekauft und …«
Wieder sah Gil zur Decke hoch.
»So eine beschissene Angst habe ich in meinem ganzen Leben noch nicht gehabt! Nicht mal, als Ihr Mann mich aus der Jeschiwa gezerrt hat. Wissen Sie, so sehr ich auch gerne sterben und noch mal von vorne anfangen würde … ich weiß, daß es nicht geht. Mom hätte es nicht gewollt.« Er hielt inne. »Mein Gott, ich habe sie so sehr geliebt.«
Der Junge schluchzte hemmungslos. Rina streckte die Arme nach ihm aus und drückte ihn fest an sich.
»Ich muß mich um meinen Bruder kümmern«, heulte er. »Ich bin der ältere und fast erwachsen, aber ich bin noch so ein verdammtes Kind.«
»Gil«, sagte Rina sanft. »Dazu hat man Familie. Du hast Großeltern, die dich lieben. Und du hast eine Tante in Los Angeles, die dich auch liebt.«
Der Junge machte sich aus Rinas Umarmung frei und wischte sich die Augen. »Ja, wir können wahrscheinlich bei ihr bleiben, bis wir mit der Schule fertig sind. Ihr Haus ist nicht sehr groß –«
»Ich bin sicher, daß das kein Problem sein wird.«
Gil lächelte unter Tränen.
Rina sagte: »Gil, wir müssen mit deinem Bruder reden.«
»Ich weiß. Aber erst muß ich mit ihm reden. Es gibt Komplikationen.«
»Was für Komplikationen?«
»Das kann ich nicht verraten. Außerdem läßt er sich vielleicht gar nicht darauf ein. Er ist in wirklich schlimmer Verfassung. Hat eine Heidenangst vor Milligan. Besonders, nachdem wir das von meinen Eltern in den Bergen gehört haben. Milligan ist böse. Ich weiß, daß sie meine Eltern in den Hinterhalt gelockt hat.«
»Weißt du das genau?«
»Nein … ich meine, mein Dad hat sich andauernd heimlich mit ihr getroffen – ist ja klar. Er wollte nicht, daß meine Mom es erfährt … dabei wußte sie es aber. Dov und ich konnten verstehen, wie mein Dad in die Falle gegangen ist. Aber wir konnten nicht begreifen, wieso meine Mom auch. Das einzige, was wir uns vorstellen konnten, ist …« Er senkte den Kopf. »Sie hat gewußt, daß wir bald aus der Schule kommen würden. Deshalb ist sie mit aus dem Haus, um Milligan oder ihre Leute von dort weg zu bekommen … um uns zu schützen. Warum hätte sie sonst mit meinem Dad in die Berge gehen sollen?«
Er sah Rina an.
»Wissen Sie, wo Milligan ist?«
»Nein, aber sie wird gesucht, Gil. Alle suchen nach ihr. Die israelische Polizei, mein Mann und die amerikanische Polizei. Selbst Leute, die ihrer Meinung nach mal auf ihrer Seite waren.«
»Was soll das heißen?«
»Wir glauben, daß Milligan hinter einigen Terroranschlägen in Israel stecken könnte.«
»Die Bombe in meiner Jeschiwa?«
»Und noch ein paar andere Dinge. Aber ihr Plan hat nicht funktioniert. Wir glauben, daß gewisse Leute, mit denen sie zusammengearbeitet hat, sie eventuell ebenso gerne finden würden. Bitte, Gil. Sag mir, wo dein Bruder ist.«
Der Teenager schlug die Hände vors Gesicht, um sie gleich wieder fallen zu lassen. Er blies die Luft aus. »Ich wünschte, ich wüßte, wem ich trauen kann.« Der Junge schüttelte den Kopf. »Sie werden einfach warten müssen.«
Rina biß sich auf die Lippe.
»Jetzt sind Sie sauer auf mich«, meinte Gil unglücklich.
»Nein, natürlich nicht.« Rina nahm die Hand des Jungen und drückte sie. »Ich mache mir nur Sorgen um Dov. Weißt du, selbst wenn du es mir nicht sagst, haben deine Großeltern das Recht –«
Rina unterbrach sich.
Die einzige Person, die sie und Peter nicht besucht hatten, weil die Zeit nicht reichte! »Er ist bei deiner anderen Großmutter, stimmt’s? Deshalb ist sie jetzt nicht hier bei
Weitere Kostenlose Bücher