Decker & Lazarus 07 - Weder Tag noch Stunde
nicht die gesamte Innenstadt aus, hier tat sich mehr, als daß nur das Alte bewahrt wurde.
Überall Zeichen der Erneuerung – das neugebaute Convention Center in Neongrün, eine Wohnstadt für allerhöchste Ansprüche, eine brandneue Bibliothek. Das Gebäude war wie ein Phoenix aus der Asche des alten gestiegen. Decker hörte die Leute ständig davon reden, daß die Innenstadt den Bach runtergehen würde, aber er war optimistisch. Natürlich hatte er die gräßlichsten Seiten der menschlichen Natur kennengelernt, aber gleichzeitig hatte er auch eine Menge Helden des Alltags gesehen – völlig normale Männer und Frauen, die ihr Leben aufs Spiel gesetzt hatten, um anderen zu helfen. Er war nicht nur ein Gutwetter-Angelino. Er hatte lebenslänglich.
Heute war Decker bester Laune. Das lag am Wetter. Die Luft war frisch, der Himmel sanft wie Kaschmir, von duftigen, perlmuttenen Wolken durchzogen. Die tief stehende Sonne tauchte alle höheren Gebäude in bronzefarbenes Licht und ließ ihre Strahlen funkelnd auf Glas- und Metallflächen spielen. Der städtische Verfall sah aus wie mit Weichzeichner gefilmt. Auf den Gehwegen herrschte reger Verkehr – Geschäftsleute im Anzug, Immigranten, Obdachlose, Straßenverkäufer –, aber er lief flüssig. Die Leute wurden von einer ständigen Brise gezaust.
Er manövrierte sein Zivilauto um eine ganze Anzahl von Ecken, bis er das Diamantenzentrum gefunden hatte – einen zwanzigstöckigen Granitmonolithen nahe der Sechsten und Hill. Er hatte Glück und fand einen Parkplatz am Straßenrand. Er fuhr den Plymouth an den Rand, stellte den Motor ab und warf noch einen Blick in seine Notizen, bevor er hineinging. Als er gefunden hatte, was er suchte, stieg er aus und marschierte durch die Eingangstür.
Die Lobby war aus dem gleichen Granit wie das Äußere und wirkte hart wie ein Stahltresor. Hinter dem Empfangsbereich ragte ein ganzer Berghang aus Stein mit dem Verzeichnis der im Gebäude untergebrachten Firmen auf. Zu beiden Seiten davon waren Fahrstühle. Decker wußte, wo er hin mußte, und drückte den Knopf des Otis Special. Gleich darauf öffnete sich der Fahrstuhl und gab ein fremdartiges Stimmengewirr und eine Ansammlung chassidischer Kleidung frei. Decker sah den schwarzen Roben der ultraorthodoxen Juden hinterher und hätte beinahe seinen Aufzug verpaßt.
Er wußte, daß eine Menge orthodoxe Juden im Diamantengeschäft waren. Und er wußte auch, daß genauso viele weltlich orientierte Juden wie Yalom in Diamanten machten. Er überlegte, wie sie miteinander auskamen.
Und dann drängte sich ihm plötzlich die Frage auf, ob es in dem Geschäft überhaupt noch andere Leute gab außer Juden.
Im dreizehnten Stock stieg er aus und ging einen mit Teppich ausgelegten Korridor hinunter, bis er zu Nr. 1306 kam. Auf dem Türschild stand YALOM AND GOLD, INC. Am Türpfosten saß eine kleine, metallene Mezuza.
Diese Mezuza war außen angebracht. Yalom kannte also den Unterschied.
Decker sah den Flur entlang. Haufenweise Mezuzas. Und haufenweise Überwachungskameras. Er drückte auf die Klingel zu Nr. 1306. Eine weibliche Stimme mit Akzent fragte, wer da sei. Er antwortete und durfte eintreten.
Yalom and Gold, Inc. schien nicht viel für Inneneinrichtung übrig zu haben. Der Empfangsbereich war im Grunde nur eine Passage mit Teppich – ein Durchgang, um von draußen ins Allerheiligste zu kommen. In einem Glaskasten saß eine junge, hübsche Empfangsdame. Sie hatte einen kaffeebraunen Teint, der von glänzendem, lackschwarzem Haar umrahmt wurde. Braune Augen musterten ihn. Decker lächelte und nahm seinen Dienstausweis heraus.
»Eine Minute«, sagte sie durch den Stimmverstärker. Sie nahm einen Telefonhörer auf. Ihre Lippen bewegten sich, aber Decker konnte nicht hören, was sie sagte. Den Hörer immer noch am Ohr, sagte sie: »Darf ich Ihren Ausweis bitte noch mal sehen?«
Decker nahm seine Marke und die dazugehörige Ausweiskarte heraus. Die Frau begutachtete alles sehr genau. »Mr. Gold wird gleich bei Ihnen sein.« Sie stellte den Verstärker aus und widmete sich wieder ihrer Arbeit.
Die Frau war nicht interessiert an ein bißchen Geplauder. Decker sah sich mit einem Gefühl um, als würde er gleich ins Gefängnis geführt. An der Decke saßen ebenfalls zwei Überwachungskameras. Er dachte daran zu winken, verwarf die Idee aber gleich wieder. Weil es keine Sitzmöglichkeit gab, blieb er stehen, wo er war, und tippte mit dem Fuß.
Eine Minute später kam ein Mann in den
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