Decker & Lazarus 09 - Totengebet
genug gelebt hat, um eine Methode für eine Gehirntransplantation zu entwickeln.«
Decameron schob dandyhaft eine Hüfte vor.
»Also, das wäre wirklich interessant gewesen. Sein Gehirn in meinem Körper!«
»Eher eine Obszönität, wenn Sie mich fragen«, murmelte Heather.
Decameron verdrehte die Augen. »Curedon war nur einer von Azors zahlreichen Beiträgen zur medizinischen Wissenschaft. Einer, an dem teilzuhaben, ich das Privileg hatte. Darf ich mich setzen?«
Marge deutete auf einen leeren Polstersessel. »Bitte schön.«
Decameron ließ sich nieder. »Wie soll ich das erklären?« Er überlegte. »Wann immer ein Organ transplantiert wird, ist es eine natürliche Körperreaktion, das fremde Gewebe abzustoßen.«
»Das geht über meinen Verstand«, sagte Oliver.
»Unser Körper ist eine erstaunliche Erfindung. Man könnte fast an Gott glauben.« Decameron hielt inne. »Fast. Wir haben eine wunderbare Sache: das Immunsystem. Es erkennt unsere Feinde, die Eindringlinge, die unserem Körper schaden könnten, und vernichtet sie. Jede fremde Substanz – ein Virus, eine Bakterie, eine Krebszelle – wird letztendlich als Eindringling erkannt und zerstört, vorausgesetzt man verfügt über ein intaktes Immunsystem. Eine hervorragende Sache. Ohne dieses Immunsystem gingen wir alle den Weg der AIDS-Patienien.«
Decameron sah Oliver an.
»Bis jetzt kann ich folgen«, versicherte Oliver.
»Tja, aber manchmal tut das Immunsystem des Guten zu viel. Manchmal ist es übereifrig. Die meisten von uns reagieren mit Niesen oder einer Schwellung, wenn es uns in der Nase kitzelt oder uns eine Biene sticht. Aber das vergeht wieder. Ein paar Pechvögel haben jedoch Immunsysteme, die zu Überreaktionen neigen, die Unmengen Histamine produzieren, um eine kleine Irritation abzuwehren. Zellwände brechen zusammen, Flüssigkeit dringt in das Gewebe, und der Körper schwillt an.«
»Eine allergische Reaktion«, bemerkte Marge.
»Exakt«, stimmte Decameron zu. »Die gefährlichste allergische Reaktion findet in der Lunge statt. Unser Atemorgan kann sich derart entzünden, dass es keine Luft mehr durchlässt.«
»Und was hat das mit Curedon zu tun?«, wollte Marge wissen. »Verhindert es eine allergische Reaktion?«
Decameron nickte. »In gewisser Weise, ja. Wenn jemandem ein neues Herz eingepflanzt wird, dann erkennt das körpereigene Immunsystem das fremde Herz nicht als notwendigen Teil des Körpers. Es sieht in ihm eine fremde Substanz und produziert weiße Blutkörperchen, um es zu vernichten.«
»Das ist dann, als habe der Patient eine allergische Reaktion gegen sein neues Herz?«, rekapitulierte Oliver.
»Im Wesentlichen, ja«, stimmte Decameron zu. »Ohne wirksame Medikation würde das Immunsystem das Herz letztendlich zersetzen.«
»Ich dachte immer, bei Herztransplantationen würde im Vorfeld getestet, ob das Spenderherz zum Körper des Empfängers passt«, warf Marge ein.
»Natürlich versucht man die größtmögliche Übereinstimmung zu erreichen, Detective. Wir tun unser Bestes. Aber das ist oft nicht genug. Es gibt einen bedauernswerten Mangel an Spenderherzen und einen Überschuss an Herzkranken. Damit müssen wir leben. Und das bedeutet, dass wir am Immunsystem arbeiten, Mittel und Wege finden müssen, es zu überlisten. Das können wir mit Medikamenten tun, die man Immunblocker nennt. Cortison zum Beispiel ist ein solches Mittel.«
»Geben Sie den Herzpatienten Cortison?«
»Nein. Aber Chirurgen verabreichen verwandte Mittel. Wie Prednison. Die am meisten verwendeten Mittel sind Imuran und Cyclosporin-A. Bei schwer nierengeschädigten Patienten geben Chirurgen häufig auch Orthocion oder OKT3 und die anderen Ks wie FK 506. Tut mir Leid, wenn ich Sie damit langweile, aber es hilft vielleicht die Bedeutung von Curedon zu verstehen.«
Im Zimmer war es vollkommen still. Marge schrieb so schnell sie konnte.
»Curedon unterscheidet sich in seiner chemischen Zusammensetzung grundlegend von den anderen Immunblockern. Wie es sich mit T-Zellen durch die Produktion von Interleukin 2 verbindet … Curedon scheint sich dämpfend auf das Immunsystem auszuwirken, ohne es ganz auszuschalten. Das bedeutet, dass wir viel weniger ungeliebte Nebenwirkungen haben. Und das ist unheimlich wichtig. Denn Herztransplantationspatienten müssen ihr ganzes Leben lang diese Medikamente einnehmen.«
»Für immer?«, wollte Oliver wissen.
»Für immer«, bestätigte Decameron. »Wir verabreichen schon die kleinstmögliche Dosis.
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