Decker & Lazarus 10 - Der Schlange List
immer blasser. Nur ein paar blieben ganz deutlich. Solche, die so oft hervorgekramt wurden, daß sie schon fast zur Legende geworden waren.
Abba.
Der Umzug in das neue Haus bedeutete den endgültigen Abschied von der Jeschiwa, von dieser Phase seiner Kindheit. Das Leben ging weiter.
Trotzdem schnürte es Sammy den Hals zu.
An die Gegenwart denken. Zum Beispiel an Joachim Rush. Das war einfacher. Und es war auch nichts dabei, zu einem Scrabble-Turnier zu gehen.
Trotzdem wollte er es nicht auf eigene Faust machen. Erst mußte er mit jemandem reden. Jacob? Nein, seinen Bruder wollte er nicht in die Sache hineinziehen.
Vielleicht doch Ima einweihen?
Nein, unmöglich. Wenn er Geheimnisse mit ihr hatte, würde er einen Keil zwischen sie und Peter treiben. Ima kam nicht in Frage.
Aber wer dann? Wer würde verstehen, worum es ging? In die Kissen gekuschelt, dachte er nach, allmählich eingelullt von den Vogelstimmen. Plötzlich war er wieder hellwach.
Na klar!
Gleich nach Ende des Sabbat würde er anrufen. Zufrieden schlief er ein.
29
Cindy griff nach der Kaffeetasse, schlürfte die geschäumte Milch. »Das ist alles sehr interessant, was du mir da erzählst. Aber bis jetzt weiß ich nicht, worauf du hinauswillst.«
»Das weiß ich selber nicht«, sagte Sam. »Deshalb rede ich doch mit dir.« Er biß in seinen Bagel. »Ich dachte, du kämst vielleicht auf eine Idee.«
Cindy knabberte an ihrem Zimtbagel, frisch aus der Hausbäckerei von Harold’s East. Ein nostalgisch gestaltetes Deli im New Yorker Stil, das nur Milchprodukte anbot. Eins der wenigen Lokale, die Sam besuchen konnte, weil das Essen koscher war.
»Ich hab keinen Plan, Sani«, sagte sie. »Und es gibt nichts zu planen. Wenn du irgendwas weißt, solltest du’s Dad erzählen.«
»Das kann ich nicht, Cindy.« Sam war enttäuscht. »Erstens habe ich ihm nichts Wichtiges zu sagen. Zweitens soll er nicht wissen, daß ich ihn und Mom belauscht habe. Drittens weiß er von den Scrabble-Turnieren und hat sich entschlossen, nicht hinzugehen. Oder Strapp hat’s ihm verboten. Ich dachte, wir könnten uns dort mal umsehen …«
»Ich bringe die Wanzen an und du die versteckten Kameras?«
»Laß mich doch wenigstens ausreden!«
»Entschuldige. Sprich weiter.«
Sam überlegte. »Ich weiß nicht. Ich dachte nur … weil keiner von Dads Leuten sich mit diesem Joachim befassen darf … daß du ihn vielleicht ein paar Tage beschatten könntest.«
»Miss Marpie war schon immer mein Schwarm.«
»Vergiß es!« Sammy war eingeschnappt. »War eine blöde Idee. Tut mir leid, daß ich dich belästigt hab. Ich zahle.«
Cindy seufzte. »Mein Gott, ich rede ja genauso wie er. Negativ und sarkastisch.« Sie leckte sich die Milch von den Lippen. »Es muß schrecklich sein, so eine Abfuhr zu kriegen. Tut mir leid, Sam.«
»Du bist nur ehrlich.« Er rückte seine Brille zurecht. »Und du hast recht. Es ist lächerlich. Aber es tut mir nicht leid, daß ich’s versucht habe.«
Cindy sagte nichts und musterte ihren Stiefbruder. Ein stiller Junge in Jeans und einem frischen weißen Hemd mit langen Ärmeln. Schlank, das sandfarbene Haar zum Teil von der gestrickten Jarmulke bedeckt. Dunkle, intelligente Augen. Er war im Begriff, ein sehr hübscher Bursche zu werden.
Sam stützte sich auf die Ellbogen. »Du kriegst nicht so mit, was mit ihm los ist. Du siehst ihn nicht Tag für Tag. Er ist sehr frustriert.«
Cindy ärgerte sich. »Ich hab ihn schon öfter frustriert gesehen, als du dir vorstellen kannst.«
»Hör mal, ich poche hier nicht auf Verwandtschaft oder so.« Sam senkte den Kopf. »Biologie bleibt Biologie. Du bist nun mal seine richtige Tochter …«
»O bitte!« Wieder ertappte sich Cindy bei diesem schroffen, sarkastischen Tonfall, den sie von ihrem Vater hatte. Biologie war allerdings Biologie und heimtückischer, als sie vermutet hätte. Sie schlug einen sanfteren Ton an. »Sam, es ist wirklich albern, die Zuneigung meines Vaters … unseres Vaters zu portionieren. Er liebt alle seine Kinder. Ja, und ich weiß, daß er frustriert ist. Wenn er von unserem Treffen wüßte, wäre er sicher gerührt. Aber ich sehe nicht, wie wir ihm helfen könnten.«
»Wem schadet es denn, wenn wir einfach mal zu so einem Turnier gehen?« beharrte Sam.
»Angenommen, wir tauchen dort auf. Angenommen, wir sehen diesen Joachim, wir reden sogar mit ihm. Was dann? Weißt du überhaupt, wie der Typ aussieht?«
»Keine Ahnung. Aber das kriegen wir raus. Dad sagte, er ist bei den
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