Decker & Lazarus 10 - Der Schlange List
waren wir nie.«
»Wir sind doch keine Feinde, Cindy!«
»Nein, natürlich nicht. Aber wir hatten auch nicht viel miteinander zu tun, von den üblichen Familientreffen abgesehen.«
»Stimmt.«
»Wenn meine Mutter uns ohne besonderen Grund zusammen sieht, fangt die Fragerei an. Das können wir gerade brauchen. Daß Dad die ganze Sache brühwarm von meiner Mutter aufgetischt kriegt.«
»Wo dann?«
»Um elf im McGregor-Park«, sagte Cindy. »Du, ich und all die russischen Rentner, die dort rumsitzen. Entweder du kommst oder du kommst nicht. Machen wir für heute Schluß, Sam?«
»Okay, geh du nur. Ich muß noch bentschen … das Tischgebet sprechen.« Sam griff nach der Rechnung, aber Cindy war schneller.
»Arbeitsteilung«, sagte sie. »Du dankst Gott für das Essen, ich bezahle die Rechnung.«
30
Rina fand Hollywood von Jahr zu Jahr häßlicher und schmuddliger. Und nun noch der U-Bahnanschluß … all die Baustellen, der Dreck, der da in die Luft gepustet wurde. Ganz zu schweigen von der hemmungslosen Zurschaustellung nackten Fleisches. Kaum zu glauben, daß dieser Ort immer noch die Touristenmassen anzog. Leute aus aller Herren Länder, Fotoapparate um den Hals und selbst im Winter im kurzärmligen Hawaiihemd. Dann die Einheimischen. Schäbige Unisex-Klamotten, fettiges Haar, zerfetzte Jeans, Tattoos und jede Menge Piercings. Wahrscheinlich fliegen die nie, dachte Rina. Weil sie durch keinen Metalldetektor kommen.
Rina fand das Haus ohne Mühe, stellte den alten Volvo auf einem bewachten Parkplatz ab. Ihre Hände schwitzten, ihr Herz klopfte. Sie hoffte, er wäre nicht zu Hause, fürchtete aber, daß ihre Hoffnung vergebens war. Er ging selten weg.
Sie hatte sich etwas Schlichtes angezogen. Schwarzer Pullover und Jeansrock. Das Haar geflochten und mit einem Kopftuch bedeckt. Sie klopfte an die Tür, hörte die schleppenden Schritte näherkommen. Es dauerte eine Weile, bis er öffnete. Auf seinem Gesicht malte sich Überraschung.
Er stützte sich auf den Stock und grinste. »Ich glaube, wir kennen uns.«
»Ich glaube auch.« Rina lächelte. »Sie waren auf unserer Hochzeit.«
»Ah! Die Hochzeit. Ich erinnere mich. Das Essen! Diese wunderbare Pekingente. Ich hab mich für ein ganzes Jahr satt gegessen.«
»Dann müssen wir wohl wieder mal Hochzeit feiern. Sieht so aus, als hätten Sie seitdem kaum was gegessen.«
Er klopfte sich auf den flachen Bauch. »Es geht so.«
Sie musterte ihn, dann blickte sie zur Seite. Abel Atwater. Peters Kumpel aus dem Vietnamkrieg. Kaum zu glauben, daß dieser Mann jemals kriegstauglich war – so entsetzlich mager. Das hagere Gesicht durch einen grauen Vollbart kaschiert. Sein Haar war silbergrau und nach Hippie-Mode zum Zopf geflochten. Der Jogginganzug schlackerte um seinen ausgemergelten Körper. Das einzig Lebendige an ihm waren die Augen … ein klarer, wacher Blick. »Ihnen fallen ja förmlich die Sachen vom Leibe!« sagte Rina.
»Sie haben wohl was gegen den Schlabberlook?« Er zog die Hose ein wenig höher.
»Darf ich reinkommen, Abel?«
»Klar.« Er wedelte einladend mit dem Stock.
Das Zimmer war eng und stickig vor Hitze. Man blickte auf einen Parkplatz, die Küche hatte die Größe eines Kleiderschranks. Dünne Mullgardinen, ein abgeschabter brauner Teppich, die Möbel wie vom Sperrmüll. Ein Resopaltisch mit orangefarbenen Plastikstühlen. Aber sauber war es hier. Blitzsauber.
»Darfs ein Bier sein, Mrs. Decker?«
»Sie können mich doch Rina nennen!«
Abel lächelte. »Rina … ein schöner Name. Für eine schöne Frau. Möchten Sie ein Bier, Rina?«
»Nein, danke.«
»Außer Bier hab ich nichts Besonderes anzubieten.« Abel öffnete den Uraltkühlschrank und steckte den Kopf hinein. »Nicht zu glauben! Da ist ja Orangensaft! Möchten Sie Orangensaft?«
»Nein, danke. Ich möchte nichts.«
Abel richtete sich wieder auf und schloß den Kühlschrank. »Sie sind ja ein pflegeleichter Gast!«
Wieder schwenkte er den Stock und wies auf das Sofa, das mit einer ehemals rotgoldenen Diwandecke bedeckt war. Rina setzte sich, Abel ließ sich in die andere Sofaecke plumpsen. »Da Sie so bei mir reingeschneit kommen, mach ich mir gleich Sorgen um Pete. Aber so schlimm kann es nicht sein. Dafür sind Sie zu ruhig.«
»Peter geht’s gut.«
»Schön, das zu hören. Wollen wir noch ein bißchen weiterplaudern? Oder wollen Sie gleich zum Thema kommen?«
»Es geht natürlich um Peter.«
»Planen Sie eine Geburtstagsparty für ihn?«
»Nein. Solche
Weitere Kostenlose Bücher