Decker & Lazarus 10 - Der Schlange List
fragte Martinez. »Wir haben schließlich den Täter … gewissermaßen.«
»Es wird ein Verfahren geben«, vermutete Oliver. »Die Polizei hätte früher am Tatort sein sollen, stimmt’s? Dann hätten mehr Menschen gerettet werden können, stimmt’s? Wie lange hat es diesmal gedauert? Zwei Minuten?«
»Der erste Streifenwagen war nach zwei Minuten und achtundzwanzig Sekunden da«, sagte Webster.
»Ich hab doch recht, Pete, oder?« meinte Oliver.
»Du bist nahe dran.«
»Egal, was passiert, wir kriegen die Schuld. Wenn ein Erdbeben die ganze Stadt verschluckt, sind wir auch schuld.«
»Im Moment sind wir noch nicht in der Schußlinie«, sagte Decker. »Aber … wie soll ich sagen? Wenn das mehr ist als ein ganz normaler Massenmord, dann sind wir dran. Wer hat denn nun den Autopsiebericht?«
Webster reichte ihm die Mappe mit erwartungsvollem Blick. Heute trug er einen schwarzen Anzug, in der Brusttasche steckte eine Sonnenbrille. In dieser piekfeinen Kluft mit Bügelfalte sah er eher wie ein FBI-Mann aus, aber Decker nahm es ihm nicht übel. Webster war ein verdammt guter Cop.
Decker blätterte die Mappe durch. »Wo steht das Wichtige?«
»Der Schuß, der Harlan Manz getötet hat, ist aus sechzig bis achtzig Zentimeter Abstand abgegeben worden.«
»Was?« Decker blätterte hektisch im Bericht. »Wo steht das?«
»Seite elf oder zwölf. Die Stelle ist angestrichen.«
Decker las den Absatz und las ihn ein zweites Mal. Dann ließ er sich nach hinten sacken und strich sich übers Gesicht.
»Ich hab schon in der Gerichtsmedizin nachgefragt, ob sie wirklich sicher sind, was den Abstand betrifft«, sagte Martinez.
»Und?«
»Absolut sicher. Sie sagen, wenn die Waffe aus kürzerer Distanz abgefeuert worden wäre, hätte es das Gehirn heftiger erwischt.«
»Größere Ein- und Austrittswunden«, ergänzte Webster, »größerer Gewebsschaden, stärkere Schmauchspuren an Kopf und Händen.«
»Als Harlan auf sich geschossen hat, sah er also so aus.« Oliver formte mit der Hand eine Pistole, streckte den Arm aus und richtete den Zeigefinger auf seinen Kopf. »Wie viel Zentimeter sind das, Jungs? Etwa neunzig?«
»Hat jemand ein Maßband dabei?« fragte Marge.
Decker zog eins aus dem Schreibtisch.
Marge maß nach. »Zweiundneunzig Zentimeter. Du kannst den Arm noch ein bißchen anwinkeln, Scotty.«
Oliver gehorchte. »Jetzt ziele ich aber über meinen Kopf.«
»Dann senk den Arm ein bißchen.« Martinez stand auf und rückte Oliver zurecht wie eine Schaufensterpuppe. »Ja, so ist es gut. Das sieht aus wie achtzig Zentimeter.«
Marge maß erneut. »Siebenundsiebzig, um korrekt zu sein.«
»Jetzt ziele auf deinen Kopf«, sagte Webster.
Oliver tat es. Alle starrten ihn an.
»Ich kann mich zwar irren«, sagte Marge, »aber für meine Begriffe sieht das seltsam aus.«
»Einfach lachhaft«, meinte Martinez. »Wer sich erschießen will, hält die Pistole an die Schläfe und nicht über einen halben Meter entfernt.«
»Ich könnte es verstehen bei einem, der unentschlossen ist oder nicht mit Waffen umgehen kann«, sagte Marge. »Eine Art Vermeidung.«
»Ein bißchen Abstand mag ja sein«, sagte Martinez. »Aber nicht so. Da müßte Manz ja ein wahrer Schlangenmensch gewesen sein.«
»Vielleicht hatte er kurze Arme«, schlug Marge vor.
»Eher nicht«, sagte Martinez.
»War es vielleicht ein Versehen?« fragte Oliver.
Martinez zog ein Gesicht. »Du meinst, er hat auf was anderes gezielt und sich dabei in den Kopf geschossen?«
»Nein. Ich meine, daß sich der Schuß aus Versehen gelöst hat.«
»Und hat ihn genau in die Schläfe getroffen?« Marge schüttelte den Kopf.
»Das sind doch alles Hirngespinste«, meinte Webster. »Warum sagen wir nicht, was wir alle denken?«
»Zwei Schützen«, sagte Oliver.
»Wie du gestern schon vermutet hast, Loo«, seufzte Marge.
»Ach wirklich?« Oliver war verblüfft.
»Ich hab ein paar Autopsieberichte verglichen«, sagte Decker. »Manche der Geschoßbahnen machen unsere Einzeltäter-Theorie sehr fragwürdig.«
»Und die große Zahl der Geschosse hat dich auch stutzig gemacht.«
»Für nur einen Schützen sind es sehr viele«, bestätigte Webster, »selbst wenn er eine Double Action benutzt hat. Wie viele haben wir insgesamt gefunden? Etwa zweihundert?«
»Zwei Täter, das bedeutet, es war ein geplanter Überfall«, sagte Martinez.
»Was meinst du mit geplant, Bert?« fragte Oliver.
»Harlan ging mit der Absicht ins Estelle, jemand Bestimmten umzubringen. Er
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