Decker & Lazarus - 18 - Missgunst
durchgekommen … hatte Dreien, sogar Zweien. Und eine Eins in Englisch. Sein Lehrer war Jake Tibbets. Soll ich mal nachsehen, ob er noch da ist?«
»Das wäre toll«, antwortete Oliver.
Wieder lächelte Carmen ihn kurz an. »Warten Sie hier, ich bin gleich wieder da.«
Nachdem sie das Büro verlassen hatte, sagte Marge: »Das reinste Energiebündel.«
»Dagegen gibt es ja nichts einzuwenden.«
»Sie hat definitiv ein Auge auf dich geworfen.« Als Oliver mit einem Lächeln à la Grinsekatze antwortete, stupste sie ihn in die Rippen. »Seit wann bist du denn so diskret?«
»Ich versuche nur, weniger plump zu sein. Also tu mir bitte einen Gefallen: Frag du nach ihrer Karte mit Telefonnummer – falls wir noch mal mit ihr reden müssen.«
»Wenn ich nach ihrer Karte frage, denkt sie, du bist nicht interessiert.«
»Du meinst, ich soll besser fragen?«
»Ja … schschsch … sie kommt.«
Carmen kehrte lächelnd zurück in ihr Büro. »Er sitzt in der Lehrer-Lounge und würde sehr gerne mit Ihnen über Esteban reden.«
»Danke«, sagte Marge. »Ms. Montenegro, ich interessiere mich auch noch für zwei andere Männer: Alejandro Brand, der heute um die neunzehn Jahre alt ist, und José Pinon oder vielleicht Joe Pine. Er ist jetzt wohl Anfang zwanzig. Wissen Sie, ob die beiden auch hier auf der Schule waren?«
»Das kann ich nachsehen …« Sie drückte ein paar Tasten und zapfte den Computer an. »Hoppla! Brand war hier auf der Schule, und er war ein Unruhestifter: hing mit den Jungs der Bodega-12th-Street-Bande ab. Jede Menge Verweise, bis er dann vier Jahre später von der Schule geworfen wurde. Mr. Tibbets war auch sein Englischlehrer, aber da gibt es keine Erfolgsstory. Wie lautete der andere Name?«
»José Pinon«, antwortete Marge.
»Hm … Pinon, Pinon … Ich habe hier eine Maria Pinon, die mit Brand in einer Klasse war. Wahrscheinlich eine Schwester oder so …« Klick, klick, klick. »Also, er blieb bis zur Neunten … er hat sie zweimal gemacht, und dann ist er rausgeflogen.«
»Gehörte er zu den Unruhestiftern?«
»Hm … nicht wirklich.« Sie blickte vom Bildschirm auf. »Der ganz gewöhnliche Schulabbrecher.«
»Ein Bandenmitglied?«
»Das sind sie alle.« Sie erhob sich. »Gehen wir in die Lehrer-Lounge … was eigentlich eine völlig irreführende Bezeichnung ist. Man sollte sagen: ein Zimmer mit gebrauchten Möbeln und einer Kaffeekanne. Ich glaube, heute hat jemand Doughnuts besorgt. Wahrscheinlich sind sie schon ausgetrocknet, aber wenn sie dringend was Süßes brauchen, dann sind die genau das Richtige.«
Mit seinen rund fünfundsechzig Jahren, vielleicht auch mehr, war Jake Tibbets lang und schlaff wie eine weiche Nudel. Er hatte grau melierte Haare, tiefe Krähenfüße um die Augen und einen ansehnlichen Hängehals unter dem Kinn. Seine Augen waren algengrün und funkelten schelmisch. Er trug ein gelbes Paisley-Hemd, eine schwarze Hose und Gesundheitsschuhe. Er saß auf einem Futon und trank etwas Heißes. Die Adern an seinen Händen waren blau und standen hervor. Carmen stellte sie kurz vor.
Tibbets Stimme klang angenehm und jugendlich. »Setzen Sie sich. Möchten Sie einen Tee?«
Die Detectives lehnten dankend ab. Draußen herrschten zweiunddreißig Grad, und die Klimaanlage der Schule schaffte bestenfalls lauwarme Temperaturen.
»Sie wollen also etwas über Esteban Cruz wissen.« Tibbets schlürfte sein Getränk. »Was hat der Junge denn diesmal angestellt?«
»Bis jetzt wissen wir von nichts«, sagte Marge. Sie zog sich einen Stuhl heran und überließ Carmen und Oliver ein Zweiersofa. »Wir tragen nur Informationen zusammen. Können Sie sich an ihn erinnern?«
»Klar. Nicht weil ich so ein tolles Gedächtnis habe. Ich bin jetzt in dem Alter, in dem man sich alles aufschreiben muss. Außer Shakespeare, den kann ich immer noch auswendig. Ich unterrichte ja fast nur Shakespeare. Ob Sie’s glauben oder nicht, wenn Sie Willy in einen modernen Kontext stellen, dann kommt er bei den Kindern sehr gut an. Mord und Eifersucht und Neid und rücksichtsloses Verhalten.« Seine Stimme hatte jetzt die Tonlage eines Redners. »Romeo und Julia ist die größte aller jemals geschriebenen Liebesgeschichten, und obendrein mit einem Bandenkrieg. Was könnte da noch moderner sein?«
Alle drei nickten.
»Ja, ich erinnere mich an Esteban Cruz«, sagte Tibbets. »Kluger Junge. Ich habe ihm eine Eins gegeben. Eine Eins in Pacoima ist nicht dasselbe wie eine Eins an einer Bostoner Highschool,
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