Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Bemerkungen des schadenfrohen Staatsanwalts gefallen lassen musste, tat der Erinnerung an feucht-fröhliche Jugend- und Studientage nur kurzfristig Abbruch.
Der Blick des Malers streifte den von Eduard überbrachten Brief. Garoche öffnete das Kuvert und nach einem flüchtigen Blick auf den Absender, die Kunsthandlung Otto Niewarth, fragte er sich laut: »Was wollen die denn noch?«
Eine freundliche, aber bestimmte Absage hatte es bereits gegeben, als Garoche seine Unterlagen, Fotografien einiger seiner Bilder sowie Zeichnungen aus seiner Mappe, wie in den übrigen Galerien, vorgelegt hatte.
In Windeseile überflog er das Schreiben. »›… würden uns freuen, Sie nochmals am 22. dieses Monats zu einem Gespräch einladen zu dürfen. Mit freundlichen Grüßen, Otto Niewarth.‹«
Hatte Garoche etwas verpasst? War gerade eine gewaltige Revolution durch die deutsche Kunstwelt gegangen, von der er nichts mitbekommen hatte? Er las ein zweites Mal, nun aufmerksamer die Sätze, faltete dann geistesabwesend das Papier zusammen, glättete es sorgfältig und steckte es sich in die Tasche seiner braunen, derben Malhose.
Der Zweiundzwanzigste war in drei Tagen. Offensichtlich begannen sich die Dinge endlich zu seinem Vorteil zu entwickeln. Zeit wurde es. Seine Ersparnisse waren fast aufgebraucht und weitere Einkünfte aus Venedig waren nicht mehr zu erwarten. Seinen Freund um Geld zu bitten, wollte Gustave keinesfalls. Auch damit dieser nicht erführe, wie es um seine finanziellen Mittel bestellt war. Eine Miete brauchte der Maler zwar ohnehin nicht zu zahlen, aber andere Ausgaben wie Essen und Trinken zu begleichen, ließ er sich nicht nehmen. Und auch die Malutensilien, Leinwand, Farbe, Pinsel und dergleichen, verschlangen ein doch recht erkleckliches Sümmchen. Die Einladung der Kunsthandlung Niewarth kam ihm mehr als gelegen. Er würde seinem Freund Eduard das Schreiben zunächst verschweigen, wollte ihn damit überraschen, sobald alles ausgehandelt und ein Kontrakt unterschrieben war.
Garoche fand sich am besagten Vormittag in der Kunsthandlung bei Herrn Otto Niewarth ein, und dieser bat ihn eiligst in das Hinterzimmer der Kunsthandlung, nicht ohne sich vorher zu vergewissern, dass niemand anderes im Geschäft war. Zu Garoches großer Überraschung befand sich in den Räumlichkeiten eine zweite Galerie, die ein schwerer Vorhang von den vorderen Ausstellungsräumen trennte. Eine vor unbefugten Blicken verborgene Welt der Kunst. Eine Galerie voller Meisterwerke. Eine andere Welt, die im deutlichen Gegensatz zum vorderen Teil stand: Da Bilder von entschlossenen Bauern, die den Pflug zogen; Arbeitern, die mit straffen Muskeln den Hammer auf dem Ambos klingen ließen; nackte Nymphen, die ihrer Sinnlichkeit zum Trotz doch die Zeichen der Unberührbarkeit in sich trugen. Großflächige Öl-Schinken, auf denen Landschaftsmaler die ganze Schönheit Deutschlands von der Nordsee bis zu den Alpen, vom Rheinland bis Ostpreußen abzubilden trachteten. Dort die freie, wilde Kunst, der kühne Geist aus einer Welt von gestern, die Garoche einst fasziniert und in seinem Schaffen geprägt hatte.
Als sich die Augen des Malers an das dunklere Licht des Raumes gewöhnt hatten, erkannte er auf einen Blick Bilder von Otto Mueller, Karl Gravenstein, dem Franzosen Henri Le Fauconnier und zu seiner größten Freude auch ein Gemälde Max Pechsteins. Die Bilder füllten die gesamten Wände bis fast vier Meter unter die Decke.
Auf Tischen, Hockern und Zeichnungsschränken, in denen sich weitere Zeichnungen und Grafiken befanden, lagen Skizzen und Grafiken wahllos verteilt. Bei ihrem Anblick dachte Garoche spontan an das mühsame Geschäft, hier Ordnung zu schaffen, um den Kunstwerken dereinst einen würdigen Rahmen zu bieten. Im Augenblick stapelten sich die Meisterwerke wie beim Ausverkauf eines der großen Warenhäuser der Stadt.
Das Hinterzimmer war eine Fundgrube an Kostbarkeiten, vorwiegend des Expressionismus. Untergegangen geglaubte Bilder aus der Zeit um 1907 bis 1927.
Während Garoches sprachloser Betrachtung der Werke hatte sich der Kunsthändler auf einen Stuhl niedergelassen und verfolgte seinerseits mit neugierigem Blick jede Bewegung des Gegenübers. Angesichts seiner runden, kleinen Hornbrille und des kurz geschnittenen, rechts gescheitelten Haars, in Form gehalten durch zu viel Haarfestiger, sowie der schlanken und nicht eben großen Gestalt ließ er an einen Pennäler denken. Dass Otto Niewarth den Maler mit »Junger
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