Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
edel war sie in ihrer aufopfernden Hilfe für einen verletzten, hilflosen Frontsoldaten«, sagte Eduard und schmunzelte in Erinnerung an die Schwester der Krankenstation, die neben der Pflege der Schusswunde am Bein auch gerne für das seelische Wohl des Patienten gesorgt hätte. »Wer weiß, wenn meine Präferenzen nicht anders verteilt wären, vielleicht hätte Schwester Edelgard sogar das Wunder vollbracht, mich auch als Mann geheilt zu entlassen?«
»Und die Briefe?«
»Sie hat mir noch ein ganzes Jahr regelmäßig geschrieben, ohne dass ich je geantwortet habe. Sie hat nicht aufgegeben, an mich als Mitglied der wahren Männer, die im tiefsten Herzen doch die Frauen lieben, zu glauben und wollte mich davon überzeugen, dass sie die Richtige war, mich auf den Pfad der Tugend zurückzuführen. Ihre Korrespondenz endete irgendwann abrupt. Sie hat sicherlich ihren Traummann gefunden. Ihr wäre eine Menge Tinte und Papier erspart worden, gerade in den Nachkriegsjahren, wenn die gute Schwester rechtzeitig eingesehen hätte, dass man gegen seine Natur nicht angehen kann.«
»Nicht angehen sollte«, verbesserte Gustave und dachte beklommen an den Angestellten bei ›Tante Amalie‹, der viel Geld für schmutzige Geschichten ausgab, ohne sie jemals selbst zu erleben.
Kapitel 6
›DER BRAUNE LADEN‹ stand auf dem Emailleschild neben der Eingangstür und darunter: ›Amtlich zugelassene Verkaufsstelle der Reichszeugmeisterei der NSDAP. Gesamte Ausrüstung für SA, SS, ST.‹ Unter dem Schild wurde noch mit den Spezialitäten des Ladens geworben: Fahnen, Wimpel, Schallplatten.
»Was schaust du so? Wohl noch nie einen schönen Mann gesehen, was?«
Lachen begleitete das Geräusch der Türglocke beim Eintreten der zwei Männer in das Geschäft. Sie hatten Garoche dabei beobachtet, wie er seinerseits einen SA-Mann im Laden durch das Schaufenster betrachtet hatte, der eine Uniformjacke anprobierte. Jetzt standen die drei Gustave gegenüber und sahen hinaus zu ihm. Einer sagte etwas zu dem SA-Mann und sie lachten gemeinsam. Der Verkäufer, ebenfalls in SA-Uniform gekleidet, hielt sich seinen dicken Bauch und einer der Kunden musste ihm auf den Rücken schlagen, weil er sich verschluckt hatte.
Garoche dachte an Eduard und seine Uniform. Immer, wenn er sie sah, musste er nun an den Freund denken. Und im Berlin des Jahres 1936 sah man verdammt viele braune Uniformen.
»Wenn ich an dich in dreißig Jahren denke, wirst du immer noch diese Uniform anhaben«, sagte er lächelnd halblaut an den nicht anwesenden Eduard gerichtet.
»Dreißig Jahre sind eine lange Zeit mein Herr, da fließt noch viel Wasser die Spree herunter. Im Übrigen hoffe ich, Sie haben sich nicht gerade meine Person in dreißig Jahren vorgestellt, das wäre wenig schmeichelhaft. Ich bin fertig, wir können gehen.«
Garoche hatte sich ruckartig umgedreht, als Barbara Leville ihn ansprach. Er war schreckhaft geworden in den vergangenen Wochen. Früher neigte er nicht zu solchen Reaktionen. Es musste an der nervösen Stimmung in dieser Stadt liegen. Sie übertrug sich auf ihn.
»Entschuldigen Sie, ich wollte Sie nicht erschrecken.«
Er wiegelte ab. »Ist kein Problem, ich war nur in Gedanken.«
»Sie tragen sich doch hoffentlich nicht mit dem Gedanken, sich hier einzukleiden?«, stellte sie unter leichtem Schaudern fest und sah einem der SA-Männer im Laden direkt ins Gesicht. Der zog eine Grimasse und machte einen Kussmund in ihre Richtung. »Lassen Sie uns gehen.«
Garoche folgte ihr schnellen Schrittes die Schwarzkopfstraße hinunter zur Straßenbahn. Aus dem Laden wurden ihnen ein paar schrille, anerkennende Pfiffe nachgeschickt.
In der überfüllten Straßenbahn standen sie dicht beieinander und hielten sich an den Lederschlaufen fest. Barbara sah starr aus dem Fenster auf die Häuser und in die Fenster der Wohnungen, an denen sie vorbeifuhren.
»Das sind alles …«, brach sie den angefangenen Satz ab, wohl wissend, dass es keinen Sinn ergab, sich aufzuregen. Stattdessen wechselte sie unerwartet das Thema und wandte sich plötzlich Garoche zu: »Meine Vermieterin zum Beispiel, eine unmögliche Person, verbietet mir Herrenbesuche auf meinem Zimmer. Nicht einmal abholen durften Sie mich. Schrecklich, was Sie von mir denken müssen?« Die Frage war eher rhetorisch, und Fräulein Leville schien wieder ganz die Alte zu sein. »In der Pension, in der ich früher wohnte, ging es legerer zu. Zwangloser. Nicht, dass Sie an Sodom und Gomorrha denken, das
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