Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
herunter. Die Finger trugen Spuren der Farben seines letzten Bildes.
»Warum hast du dir nicht wenigstens die Hände gewaschen, du alter Schmutzfink?«, sprach Garoche und lächelte den Toten wehmütig an. »Ach, stimmt ja, es gibt hier kein Wasser.« Dann erhob er sich, nahm seinen Zeichenblock zur Hand und begann, den Erhängten zu zeichnen.
Drei Stunden später trafen der völlig aufgelöste Otto Niewarth und der unvermeidliche Heinrich Löhner ein. Im Angesicht des Toten nahm die Gesichtsfarbe des Kunsthändlers das Weiß der Atelierwände an.
»Wie konnte das geschehen? Hat er etwas zu Ihnen gesagt? Gibt es Schriftliches? Weiß noch jemand von dieser schrecklichen Tragödie?«
Lediglich die letzte der auf ihn einstürmenden Fragen konnte Garoche mit Sicherheit beantworten: »Ada hat einen freien Tag. Eine Familienfeier. Sonst war niemand auf dem Grundstück.«
»Sie waren die ganze Zeit hier?«
»Ja, nur zum Telefonieren bin ich zum Lebensmittelladen gegangen.«
»Also hätte doch jemand die Leiche …« Er betrachtete Katuschke, fand das Wort ›Leiche‹ irgendwie unpassend und setzte noch einmal neu an: »Es wäre also möglich, dass ein Fremder Herrn Katuschke so gesehen hat?«
Erwin Katuschke drehte sich leicht im Zugwind und kehrte den Umstehenden seinen Rücken zu.
»Löhner, holen Sie Wedt und nehmen Sie ihn endlich da runter!«, kommandierte der Galerist.
Sein Mitarbeiter tat wie ihm befohlen, und nachdem der Chauffeur sich vom ersten Schock erholt hatte, stieg Löhner auf den Tisch. Oben klappte er sein Taschenmesser auf und begann, den Strick zu durchtrennen, bis die Spannung des Seils schließlich nachließ und die Leiche langsam in die Arme Wedts und von dort aus herunter auf den Boden glitt.
»Jetzt legen Sie schon eine Decke über ihn«, hielt Niewarth seinen Chauffeur an und schüttelte den Kopf über dessen gebannte Untätigkeit. Garoche hatte, eine Zigarette rauchend, die Szene mit einigem Abstand verfolgt und dachte spontan an die Grablegung Christi. Genau solche groben, ungebildeten Kerle hätten es sein können, die den Herrn vom Kreuz abgenommen hatten, nicht wissend, was in diesem Augenblick vorgegangen war. Wieder nahm er seinen Block, schlug die Seite mit dem hängenden Katuschke um und begann die Männer, die um den Toten herumstanden, zu skizzieren. Die anderen schienen dies nicht zu bemerken.
»Wir müssen ihn unauffällig fortschaffen«, stellte Niewarth fest und wies Wedt an: »Holen Sie das Auto, fahren Sie es dicht an die Tür. Wir werden«, wieder suchte er nach einer Bezeichnung und entschied sich für den Namen und die höfliche Anrede, »Herrn Katuschke auf den Rücksitz, nein«, verbesserte er sich zum Entsetzen des Fahrers, »auf dem Vordersitz platzieren.«
Nachdem sich die Unruhe durch die Beseitigung des Toten vom Grundstück in eine seltsame bleierne Stille gewandelt hatte, blieb Garoche im Atelier Katuschkes, holte das Bild mit dem Dorf und dem wogenden Kornfeld aus der Ecke hervor und stellte es im Garten auf eine Staffelei. Dann entkorkte er eine Rotweinflasche, setzte sich auf einen Stuhl vor das Gemälde und trank den Wein auf das Wohl seines Kollegen.
Drei Tage später überraschte ein erneuter Besuch Otto Niewarths den Maler. Er kam mit seinem Chauffeur und einem gemieteten Kleinlastwagen, um die restlichen Gemälde und die Sachen von Katuschke abzuholen und nach Berlin zu bringen. Ada hatte Kaffee zubereitet und jedem der beiden Männer ein Stück des selbstgebackenen Kuchens serviert. Jetzt stand sie, die Hände in ihren Schürzentaschen, und wartete auf eine Reaktion. Aber weder der Galerist noch Garoche hatten Appetit auf Kuchen oder waren in der Stimmung, das Gebackene zu loben. Ada verließ enttäuscht den Salon. Die Tür war kaum geschlossen, da platzte es aus Niewarth heraus: »Ich habe es Heinrich Löhner überlassen. Ich meine, was mit dem Verstorbenen geschehen soll. Ich habe nicht nachgefragt. Nur dass er in irgendeinem Wald hängen soll, hat Löhner erzählt. Mehr wollte ich nicht wissen.«
Garoche schwante, wie Niewarth sich die Szene vorstellte: Katuschke an einem Baum hängend auf einer einsamen, sonnenbeschienenen Waldlichtung. Ein scheues Reh graste in seiner Nähe und zwei Eichkater stritten zu seinen Füßen um einen Tannenzapfen. Dieses morbide Idyll gefiel dem Kunsthändler sicher besser als die unschöne Szene drüben im Atelier vor ein paar Tagen. Aber das schlechte Gewissen plagte ihn dennoch. Sich unwohl fühlend,
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