Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Gesellschaft. Interessante Menschen kamen zu Besuch. Politiker, Geschäftsleute, Künstler, Musiker und …«, für einen Moment lächelte sie ihren Mann vergebend an, »auch mal eine kleine Soubrette.«
»Eleonore, bitte!«, übernahm der Kommerzienrat das Gespräch und lenkte das Interesse auf die Bilder seiner Sammlung. Dem hauptsächlichen Grund, weshalb Garoche den Weg zur anderen Seite des Ortes unternommen hatte. »Nach dem Kaffee führe ich Sie durch die Räume, wenn es Ihnen recht ist.«
Die Führung begann im Erdgeschoss im großen Wohnzimmer, das mit allerlei Möbel vollgestellt war. Nur ab und zu konnte man eine Stelle ausmachen, an der früher einmal ein Sessel, ein Tischchen oder eine Kommode gestanden haben musste. Die auffällige Helligkeit des ansonsten dunkelbraun bis rötlichen Parketts zeugte wahrscheinlich von einem Verkauf. Auch die Gemälde wiesen in ihren sonst akkurat ausgerichteten Reihen Lücken auf.
»Nun, wie ich Ihnen schon neulich im Park erzählt habe, mussten wir bedauerlicherweise das ein und das andere Exponat hergeben.« Das Wort ›verkaufen‹ ging dem Mann nicht über die Lippen. »Hier hing übrigens der Heckel.« Der Kommerzienrat wies auf eine leere Stelle an der Wand. »Ich habe das Bild durch die Vermittlung unseres gemeinsamen Bekannten Erwin Katuschke erworben. Übrigens damals zu einem sehr günstigen Preis. Seitdem war der Wert enorm gestiegen. Ich hatte ein schlechtes Gewissen gegenüber Herrn Katuschke und dessen Bekannten, von dem ich das Bild gekauft hatte. Aber so ist nun einmal der Kunstmarkt. Und Herr Katuschke hat mir bei seinem letzten Besuch versichert, dass er keinen Groll gegen mich hegt. Nun musste ich das Bild leider verkaufen – für einen deutlich geringeren Preis, als ich ihn damals bezahlte.«
Garoche lächelte über die Geschichte des Bildes in sich hinein, freute sich, dass der ältere Herr wenigstens keinen echten Heckel hergeben musste, und folgte dem Hausherrn bei seiner weiteren Führung.
Das Arbeitszimmer erinnerte Garoche an dasjenige seines früheren Gönners Hermann Defries in Aachen. Die Sicht durch die offen stehende Tür spiegelte fast identisch das Arbeitszimmer in der Villa Defries wider. Eingerahmt von Bücherregalen aus dunklem schwerem Holz, stach ein Gemälde über dem Kamin sofort ins Auge. Auf den ersten Blick tippte Garoche auf einen Soutine. Von dem litauischen Maler hatte er auf seiner Reise nach Mailand einige Werke in Rom gesehen. Unverkennbar war der Ausdruck in den Augen seiner Objekte.
»Ängstlich, verschlossen und gedemütigt scheinen seine Figuren und Geschöpfe alles Leid der Welt in sich zu tragen. Habe ich in einem Kunstmagazin gelesen«, erklärte Kommerzienrat Ludwig Winter. »Aber das eigentlich Faszinierende für mich ist die Ähnlichkeit mit mir selbst. Genau das könnte ich sein. Nicht die Physiognomie, ich meine die Lebensumstände. Sie müssen wissen, ich komme aus einfachen, ja, geradezu ärmlichen Verhältnissen, ich bin in Schlesien aufgewachsen. Den Sommer über lief ich barfuß und musste auf dem Feld bei der Arbeit helfen. Wir waren vierzehn Kinder und wurden nie richtig satt. Nur durch die Adoption eines wohlhabenden, kinderlosen Ehepaars konnte ich zur Schule gehen und habe das erreicht, was ich erreicht habe. Und nun wollen sie mir das alles wieder wegnehmen! Ja, schlimmer noch, sie wollen mich entehren!« Er wankte einen Moment und stützte sich am Kaminsims ab.
Garoche wollte ihm helfen, doch der ältere Herr winkte ab und richtete sich auf. Er blieb stumm neben Garoche mit verschränkten Armen stehen und sah auf das Bild des Jungen, der mit bloßen Füßen auf einer staubigen Landstraße den Betrachter ansah. Die Augen feucht und melancholisch, schien er dem, was auf ihn zukam, nicht zu trauen. Man sah ihm die Fluchtgedanken von Weitem an. Fortlaufen und sich verstecken. Aber der Maler hatte ihn gezwungen, stehen zu bleiben, und der Junge hatte auf ihn gehört. Die Farben waren in blassen Tönen gehalten, von denen ein schwefliges Gelb überwog. Der Staub der Straße brannte in den Augen des Porträtierten und vielleicht kamen auch daher die winzigen, fast unsichtbaren Tränen. Es musste ein frühes Gemälde sein. Die Landschaft um den Knaben herum ähnelte der Heimat Chaim Soutines und dem Schlesien des alten Mannes, der wie der Maler eine schwere Kindheit erlebt hatte.
»Dieses Bild gebe ich niemals her. Aber es fände sich auch kein Käufer. Der Maler ist Jude.«
Garoche folgte dem
Weitere Kostenlose Bücher