Deckfarbe: Ein Künstlerroman (Krimi im Gmeiner-Verlag) (German Edition)
Kommerzienrat durch die Bibliothek und in die restlichen Räume des großen Hauses. Neben Expressionisten hingen auch einige Impressionisten, Franz Mahler, ein Vertreter des Fauvismus, Kubisten sowie für die Neue Sachlichkeit Marcel Gill und Ferdinand Hodler.
»Sie haben eine wirklich schöne Sammlung«, lobte Garoche, dem es besonders eine frühe Lithografie Emil Noldes angetan hatte.
»Ich würde gerne einmal Ihr Werk betrachten, wenn es möglich ist? Stellen Sie in Berlin aus oder in Potsdam?«
Garoche wich der Frage aus. »Zurzeit gibt es keine Bilder von mir zu sehen. Jedenfalls nicht in Deutschland.«
Der Kommerzienrat nickte verständnisvoll und sagte nur bedauernd: »Das ist schade. Aber ich kann mir denken, dass es für einen modernen Maler nicht einfach ist, in unserem heutigen Deutschland Künstler zu sein«.«
»Da haben Sie recht, Herr Kommerzienrat«, bestätigte Garoche und dachte an die vergeblichen Besuche in den Galerien und an Leute wie Otto Niewarth, die aus der Misere der betroffenen Künstler Profit schlugen. Nicht zuletzt er selbst. Aber diesen Gedanken hatte er all die letzten Monate verdrängt.
»Ein Atelierbesuch wird von den meisten Malern nicht gerne gesehen«, begann Ludwig Winter vorsichtig die Möglichkeit auszuloten, den Maler einmal in seinem Allerheiligsten aufzusuchen.
›Von hinten durch die kalte Küche‹, hätte Erwin Katuschke dazu gesagt. Garoche konnte den älteren Herrn natürlich nicht einladen, so sympathisch er ihn auch fand. Der Kunstliebhaber hätte sofort die Arbeiten und den Schwindel erkannt. Abgesehen davon, dass er sicherlich nicht zur Polizei gegangen wäre, war Garoche die Tatsache unendlich peinlich, dass er, vorübergehend wenigstens, ein Fälscher war. So gelungen er seine Werke auch fand, es stand nicht sein eigener Name darunter.
»Ich würde Sie gerne einladen, Herr Kommerzienrat, aber leider ist in meinem Atelier zurzeit nichts zu sehen. Es steht nur noch ein einziges Gemälde auf meiner Staffelei, und wenn diese Arbeit beendet ist, beabsichtige ich eine längere Reise zu unternehmen. Ich habe meine Gemälde bei einem Bekannten in Berlin eingelagert. Das Atelier wird während meiner Abwesenheit renoviert.«
»Sie kommen doch wieder, Herr Garoche?« Der Kommerzienrat Winter blickte wie der Junge auf dem Bild über dem Kamin und sah den Maler fast ängstlich an.
»Ich gedenke wiederzukommen, ja.«
»Sie müssen wissen, dass jemand, der heutzutage eine Reise tut, nicht immer die Absicht hat zurückzukehren. Ich kenne einige Menschen, die das Land verlassen haben und nun im Ausland leben.« Wie um sich zu vergewissern, dass kein Dritter sie belauschte, sah sich der Kommerzienrat einige Male um und beugte sich etwas nach vorn, näher zu Garoche. »Einige sehr gute Freunde sind darunter. Es waren schmerzliche Momente. Auch Verwandte meiner Frau haben die Heimat verlassen.« Die Betonung des Wortes ›Heimat‹ unterstrich die Angst des hochdekorierten Mannes, die Angst, dass gewisse Kreise ihm diese Heimat absprechen, wegnehmen wollten.
Frau Winter kam hinzu und als sie das ernst dreinblickende Gesicht ihres Mannes sah, überspielte sie ihre eigene Niedergeschlagenheit mit einem Lächeln und sagte: »Ludwig, du enthältst mir ja unseren Gast vor! Ich möchte auch gerne ein wenig mit ihm plaudern, wenn Sie nichts dagegen haben?« Sie trat an Garoche heran, nahm ihn, ohne seine Antwort abzuwarten, an die Hand und führte ihn in den geheizten Wintergarten. »Kommen Sie, ich habe Tee zubereiten lassen. Um diese Jahreszeit ist es herrlich hier, wenn draußen der Wind die Blätter durch die Luft wirbelt und ein leichter Regen auf das Glasdach fällt.« Die zarte Hand der Frau Kommerzienrat drückte diejenige Garoches, als wollte sie ihn nie wieder loslassen. Als sie im Wintergarten angekommen waren, hieß sie den Maler in einem der Korbsessel Platz nehmen, und als auch ihr Mann saß, bot sie dem Gast ein Gläschen ihres selbstgemachten Himbeergeists an.
Nach einem Schnaps und einem Schluck Tee nahm der Kommerzienrat das Gespräch wieder auf, das sie vor dem Erscheinen seiner Frau geführt hatten.
»Das haben mir die«, er vermied das Wort ›Nationalsozialisten‹, »nie verziehen, dass ich damals zum Reichskanzler von Schleicher gestanden habe, als er 33 versuchte, dieses Unheil zu verhindern, das dann über uns gekommen ist.«
»Ludwig, du sollst dich doch nicht aufregen«, bat seine Frau, doch der Kommerzienrat winkte ab. »Nein, nein, aber es ist
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