Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer
wie hatte ich es ihr gedankt? Indem ich dafür sorgte, dass sie getötet wurde!
Während ich darüber nachdachte, auf wie viele Arten ich sie im Stich gelassen hatte - auf wie viele Arten wir beide uns im Stich gelassen hatten -, kam mir ein weiterer schrecklicher Gedanke. Wie sollte ich meinem Vater und meinen Brüdern erklären, dass sie tot war?
Würden sie annehmen, ich hätte es getan, weil ich wütend auf sie war? Dass ich mich entschieden hatte, zuerst Kona zu retten, weil ich es nicht verwinden konnte, von meiner Mutter verlassen worden zu sein? Es war nicht wahr - jedenfalls glaubte ich das. Ich hatte versucht sie zu retten, ich hatte getan, was ich für das Beste hielt. Doch dabei hatte ich einen nicht wieder gut zumachenden Fehler begangen.
Ich dachte zurück an den Moment, als ich das erste Mal den Wandteppich gesehen hatte und mir flüchtig durch den Kopf gegangen war, dass der Schwanz der enthaupteten Nixe im Griff der Lusca die gleiche Farbe hatte wie der meiner Mutter. Jetzt erschien es mir unverzeihlich, dass ich die grünen Tätowierungen auf ihren Schultern nicht wiedererkannt und nicht begriffen hatte, dass die Schwanzflosse der Nixe genauso aussah wie die meiner Mutter. Hätte ich das verstanden und zu Ende gedacht, hätte ich niemals die Entscheidungen getroffen, die ich letztendlich traf.
Mit einem Mal war es mir unerträglich, das Wasser zu berühren. Es erinnerte mich an meine Arroganz, an alles, was ich verloren hatte, weil ich zu dumm gewesen war, zu begreifen, wie viel mir meine Mutter bedeutete. Ich hatte sechs Jahre damit zugebracht, sie zu hassen, und jetzt waren diese Jahre für immer verloren. Ich würde nie die Chance haben, das Versäumte nachzuholen.
Ich rappelte mich auf in der vagen Absicht, vor all dem Schmerz davonzulaufen. Vor mir selbst davonzulaufen. Doch aus irgendeinem Grund wollten mich meine Beine nicht tragen.
Ich sah an mir hinab, um herauszufinden, was los war, und merkte, wie mir das letzte bisschen Blut aus dem Gesicht wich.
»Okay, Tempest, reg dich nicht auf. Es ist halb so wild.« Konas Arme schlossen sich fester um mich.
Halb so wild? Ich starrte ihn ungläubig an. HALB SO WILD? Ich hatte einen Fischschwanz! Eine lange, gebogene, lila- und silberfarbene Schwanzflosse, die im Sonnenlicht glänzte. In welcher Welt war das wohl halb so wild?
»Mach, dass er weggeht.«
»Was? Ich? Das kann ich nicht.«
»Was soll das heißen, du kannst es nicht?« Ich stieß ihn fort und versuchte mich den Strand hinaufzuziehen, um das Ding loszuwerden. Aber es war deutlich schwerer zu handhaben, als ich erwartet hatte, und statt im Sand vorwärts zu robben, zappelte ich herum wie ein Fisch auf dem Trockenen. Was ich im Grunde genommen auch war.
»Wann ist er gekommen?«
»Heute. Du warst nach dem Kampf ziemlich mitgenommen. Hast geblutet und warst bewusstlos. Ich habe dich nach Hause gebracht und ins Bett gelegt. Ein Arzt hat nach dir gesehen, während mein Vater und ich Oliwas Leiche geholt haben.« Er hielt inne und atmete tief durch. »Aber du bist nicht wieder aufgewacht. Nichts, was der Doktor oder ich versucht haben, hat gewirkt. Also habe ich dich ans Wasser getragen. Ich weiß, dass es bei Wassernixen eigentlich keine heilende Wirkung hat, aber ich wusste nicht, was ich sonst tun sollte.«
»Nur damit ich das richtig verstehe: Du hast mich ins Wasser gelegt und dann ist mir ein Fischschwanz gewachsen?« Letzteres fragte ich mit zusammengebissenen Zähnen.
»Fast im gleichen Moment, in dem du mit dem Ozean in Berührung kamst. So etwas habe ich noch nie erlebt.« Er sah mir prüfend ins Gesicht und schien endlich zu kapieren, dass ich über die Veränderung nicht besonders glücklich war.
»Ich weiß, es ist kein guter Zeitpunkt, Tempest. Aber du hast dir deinen Nixenschwanz redlich verdient. Und das ist etwas Schönes.«
»Etwas Schönes? Bist du noch bei Trost?« Ich starrte ihn fassungslos an. »Glaubst du allen Ernstes, dass ich hierbleiben will? Nenne mir einen schönen Aspekt, der darauf zurückzuführen ist, dass ich hier bin. Malu hat euch hintergangen, Oliwa ist tot, meine Mutter auch und Tiamat ist auf dem Kriegspfad. Warum, um alles in der Welt, sollte ich hierbleiben wollen?«
Jedes Gefühl war sorgsam aus Konas Blick verbannt, als er sagte: »Ich dachte, wir zählen als etwas Schönes, das aus allem entstanden ist.«
In diesem Moment hätte ich aufhören und einfach den Mund halten sollen. Nichts von alldem war Konas Schuld. Ich hatte ihm
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