Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer
ich würde mit Sicherheit nicht jetzt damit anfangen, vor all diesen Leuten, die ich kaum kannte.
Trotz der hässlichen Dinge, die ich am Vortag zu ihm gesagt hatte, war mir Kona während der ganzen Tortur eine Stütze gewesen. Er war an meiner Seite geblieben, hatte Fragen und Beileidsbezeugungen abgefangen und mir die Leute mehr oder weniger vom Hals gehalten. Er wollte mich auch an den Strand begleiten, doch ich hatte es nicht zugelassen. Mich von meiner Mutter zu verabschieden, war etwas ganz und gar Persönliches, auch wenn ich keine Ahnung hatte, wie ich es tun sollte.
Ich bin mir nicht sicher, wie lange ich dort stand und mit einem Bouquet roter Lilien in der Hand zu ihr hinaufsah. Kona hatte es mir vorher gegeben - noch etwas, an das er gedacht hatte, während ich es komplett vergessen hatte.
Man hatte sie in ein smaragdgrünes Tuch aus feinster Seide gehüllt, damit niemand die Zerstörung sah, die die Lusca angerichtet hatte. Doch ich konnte mich auch so an alles erinnern. Sobald ich die Augen schloss, sah ich es vor mir, jede noch so kleine blutige Einzelheit. Während sie verbrannte, flatterte der Rest des Tuches im Nachmittagswind davon.
Ich war erschöpft, körperlich und geistig ausgelaugt von allem, was ich durchgemacht hatte, seit ich von meinem Zuhause fortgelaufen war. Dennoch hatte ich den Großteil der Nacht im Bett gelegen und an die Decke gestarrt, aus Angst, die Augen zu schließen. Oder auch nur zu blinzeln. Schließlich war ich irgendwann vor Sonnenaufgang eingedöst, doch meine Träume waren schrecklich; flüchtige Eindrücke des Moments kurz bevor meine Mutter starb, vermischt mit Bildern von Oliwa und den ersten Sekunden, nachdem ich Malu die Muschelschale in den Bauch gerammt hatte.
Als ich das Lilienbouquet zu den anderen Blumen legte, die den Scheiterhaufen schmückten, fragte ich mich, ob Malu Familie hatte. Waren sie in diesem Moment irgendwo versammelt und taten genau das Gleiche auf seiner Bestattung?
Ich hoffte es. Malu war allein gestorben. Egal, was er getan oder noch vorgehabt hatte, niemand verdiente es, so zu sterben. Hoffentlich hatte er eine Familie, die ihn ebenso betrauerte wie ich meine Mutter. Wie Kona und seine Familie um seinen Bruder trauerten.
Wahrscheinlich sollte ich irgendetwas Tiefschürfendes zu ihr sagen, während ich hier stand, ihr all das anvertrauen, was ich ihr nicht hatte vermitteln können, als sie noch am Leben war. Aber ich tat es nicht. Nicht, weil es nichts gab, was ich ihr hätte sagen wollen, oder weil ich nicht gewusst hätte, wie ich es ausdrücken sollte, sondern weil ich nicht glaubte, dass sie dort oben war. Ihr Körper oder das, was davon übrig war, befand sich dort, aber die Mutter, die ich gekannt hatte - die, zu der ich sprechen wollte -, war schon zu weit fort, um mich noch zu hören.
Also sagte ich gar nichts. Stattdessen murmelte ich ein paar Gebete aus meiner Kindheit und wandte mich ab. Ich wollte nicht mehr dort sein, wenn das Feuer erlosch. Daher drehte ich mich einfach um und ging zu Konas Haus zurück. Ich wollte dieses merkwürdige schwarze Kleid loswerden und die Pumps, in denen sich der Sand sammelte. Wollte den neugierigen Blicken entkommen. Wollte Frieden.
Am Ende bekam ich nichts davon - jedenfalls nicht so bald, wie ich es mir erhofft hatte. Ich war noch keinen Kilometer weit gekommen, als ich Kona meinen Namen rufen hörte.
Fast hätte ich ihn ignoriert und wäre weitergelaufen, doch irgendetwas brachte mich dazu, mich umzudrehen und ihn anzusehen. Vielleicht war es der Gedanke, dass jetzt ein ebenso guter Zeitpunkt war wie jeder andere, um die Sache zwischen uns zu klären - jetzt, wo ich so betäubt war, dass mich nichts kümmerte.
Doch er hatte mich nicht gerufen, weil er reden wollte, er jedenfalls nicht. Eine alte Frau klammerte sich an seinen Arm, die ein smaragdgrünes Kleid trug, von der gleichen Farbe wie die Tattoos und der Nixenschwanz meiner Mutter. Flüchtig fragte ich mich, ob es ein Zeichen der Wertschätzung war, doch als Kona uns vorstellte, vergaß ich auch diesen Gedanken.
»Tempest, das ist Königin Hailana. Deine Mutter war dreihundert Jahre lang ihre engste Vertraute.«
Was sollte ich darauf erwidern?, fragte ich mich. Mit einem Knicks und Erfreut-Sie-kennenzulernen war der Sache wohl nicht gedient.
Die Königin schien zu ahnen, dass ich komplett überfordert war, denn sie hielt mir ihre zerbrechliche, zittrige Hand hin und drückte meine. »Ich habe Cecily innig geliebt. Sie war wie
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