Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer
seines Herzens zu erfahren. Ich wusste, dass ich es nicht länger hinausschieben konnte und es ihm sagen musste. Doch als ich in die leuchtenden Augen meiner Brüder blickte, brachte ich die Worte nicht über die Lippen. Es ging einfach nicht.
Mein Vater schien zu ahnen, dass etwas nicht stimmte, denn er schickte die Jungen eilig aus dem Zimmer, indem er ihnen ankündigte, dass ihr eigenes Mittagessen - einschließlich Milchshakes - unten auf der Küchenanrichte stehe.
Glücklich wie ein Schneekönig rannte Moku aus dem Zimmer. Er erinnerte sich schließlich kaum noch an Mom. Rio hinauszubefördern dauerte ein wenig länger und der Blick, den er mir zuwarf, besagte, dass bald weitere Fragen folgen würden.
Dad wartete, bis er die Schritte meiner Brüder auf der Treppe hörte, ehe er sich zu mir umdrehte und sagte: »Erzähl es mir.« Seine Hände waren zu Fäusten geballt und ich sah, dass er auf das Schlimmste gefasst war.
Ich überlegte, wie ich ihm die Neuigkeit behutsam beibringen konnte, doch dafür gab es nun mal keinen schonenden Weg. Außerdem erschien es mir barmherziger, es einfach auszusprechen.
»Sie ist tot, Dad. Mom ist tot.«
Er zuckte wie vom Blitz getroffen zusammen und schloss die Augen, als könnte er es nicht ertragen, mich anzusehen. Nicht dass ich ihm das zum Vorwurf machte - ich konnte mir selbst nicht ins Gesicht sehen.
Jeder in seiner eigenen kleinen Welt verloren, saßen wir lange da. Ich fragte mich, ob er an die Zeit vor ihrem Weggang dachte, daran, wie es gewesen war, sie zu lieben und von ihr geliebt zu werden. Ich erinnerte mich nicht mehr an diese Zeit, ich erinnerte mich an nichts mehr, außer daran, wie es sich angefühlt hatte, mit anzusehen, wie dieses Ding meine Mutter in Stücke riss, als wäre sie ein Nichts.
Gerade als ich zu der Überzeugung kam, dass mein Vater nichts mehr sagen, dass er nie wieder ein Wort mit mir reden würde, schlug er die Augen auf. Sie waren tränenverschleiert und wirkten dunkler als sonst, doch sein Blick war ruhig und gefasst. Schicksalsergeben.
»Nachdem ich ein paar Jahre nichts von ihr gehört hatte, habe ich mich gefragt, ob ihr vielleicht etwas zugestoßen ist. Ob sie deshalb nie zurückgekommen ist.« Er fuhr sich mit der Hand über den Nacken und schüttelte den Kopf. »Ich hatte wohl recht.«
Es wäre so einfach gewesen, ihn in diesem Glauben zu belassen, ihn in der Illusion zu wiegen, sie sei vor langer Zeit gestorben und aus diesem Grund nie zu ihm zurückgekehrt. Doch das erschien mir unfair, vor allem, weil es meinen eigenen Anteil an dem ganzen Unglück verdecken würde.
»So war es nicht, Dad.«
Er gab keine Antwort und ich merkte, dass er mir gar nicht zugehört hatte. Er war völlig in Gedanken, weit fort von meinem Zimmer mit seinen lila Wänden und den Sternen, die im Dunkeln leuchteten.
»Dad.« Wieder rief ich seinen Namen und wartete, bis sich sein leicht verschleierter Blick auf mich richtete.
»Was ist, Tempest?«
Ich habe sie umgebracht. Ich habe Mom umgebracht. Die Worte lagen mir auf der Zunge und ich wollte sie aussprechen. Ehrlich! Aber er wirkte so ruhig und gefasst, als ob all die Jahre, die er auf Mom gewartet hatte, nun leichter zu ertragen wären. Und ich begriff, dass er womöglich genau das empfand. Vielleicht war es leichter für ihn, zu glauben, dass sie ihn nicht freiwillig verlassen hatte, dass sie, wenn sie nicht ums Leben gekommen wäre, irgendwann zu ihm zurückgefunden hätte.
Ich wusste es besser, aber was hatte mir das eingebracht? Nichts, außer genug Wut und Schuldgefühlen, um damit ein ganzes Football-Stadion zu füllen. Vielleicht würde mein Vater mit dem, was er nicht wusste, besser klarkommen.
»Nichts. Ich wollte mich nur für das Essen bedanken. Es ist schön, wieder zu Hause zu sein.«
»Es ist schön, dich wieder bei uns zu haben. Du hast mir gefehlt.«
»Du mir auch.«
»Und, bist bereit, aufzustehen?« Das Lächeln, mit dem er mich ansah, war warm und sein Blick aufmerksam. Wohin er in Gedanken auch abgeschweift war, er war von dort zurückgekehrt. »Wir könnten die Jungen nehmen und in den Park fahren. Uns einen Film ansehen. Ich würde hinterher auch eine Pizza spendieren.«
»Pizza. Super.« Ich zwang mich zu einem Lächeln. »Ich glaube, darauf hätte ich Lust.«
»Gut.« Er beugte sich vor und küsste mich leicht auf den Kopf. »Wir treffen uns in zwanzig Minuten unten.«
»In dreißig Minuten.« Es war leicht, in den Rhythmus unserer alten Gewohnheiten
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