Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer
genauso gutgläubig wie du auf deine Art.«
Die Worte hallten durch den Raum und sobald sie ausgesprochen waren, hätte ich sie am liebsten zurückgenommen, hätte ich alles getan, um sie ungeschehen zu machen. Denn mein Vater war in fünf Minuten um zehn Jahre gealtert, und das war einfach nicht fair. Ich sollte meinen Frust nicht an ihm auslassen. Er hatte in dieser unglückseligen Situation genauso viel verloren wie alle anderen. Er würde noch viel mehr verlieren und trotzdem verhielt er sich deutlich besser als ich.
»Tut mir leid.«
Er schüttelte den Kopf. »Das muss es nicht.«
»Tut es aber. Das hast du nicht verdient.«
»Vielleicht doch.« Er stand auf und ging zu meinem Panoramafenster, das die komplette Wand einnahm. »Mir tut es leid, Tempest. Von ganzem Herzen. Ich weiß, dass du Mark liebst und deine Brüder. Ich ...«
»Und dich!«, platzte es aus mir heraus.
»Und mich, natürlich. Außerdem weiß ich, dass du später eine berühmte Künstlerin werden willst. Und es stinkt zum Himmel, dass du mit siebzehn eine solche Entscheidung treffen sollst. Noch schlimmer ist, dass deine Mutter sich geirrt haben könnte und dir die Entscheidung vielleicht aus den Händen genommen wird. Damit habe ich nicht gerechnet.«
Ich lachte bitter. »Ich auch nicht.«
»Aber nicht darüber zu reden, dich allein zu quälen oder, noch schlimmer, es zu ignorieren, schafft die Sache auch nicht aus der Welt.«
»Aber ich will, dass es verschwindet.« Das war der Schrei eines kleinen Mädchens, das sich wünscht, sein Vater möge alles in Ordnung bringen, und er schien meinen Vater wie ein Pfeil mitten ins Herz zu treffen.
»Himmel, Tempest. Das will ich doch auch.« Zum ersten Mal standen ihm die Tränen in den Augen und als er die Arme ausbreitete, flüchtete ich mich geradewegs hinein.
Wir standen lange da und doch nicht lang genug. Als er sich von mir löste, hätte ich mich am liebsten weiter an ihn geklammert, und obwohl meine Schultern unter seiner Umarmung höllisch wehtaten, wollte ich ihn anflehen, mich nicht loszulassen.
Aber so etwas taten nur Kinder und egal, wie ich mich aufgeführt hatte, ich war kein Kind mehr - schon seit dem Tag, als ich aufgewacht war und feststellen musste, dass meine Mutter einfach aus unserem Leben geschwommen war, als wären wir für sie nicht mehr als ein flüchtiges Vergnügen gewesen.
»Ich weiß nicht, warum deine Mutter ihr Versprechen dir gegenüber nicht gehalten hat oder die, die sie mir vor ihrem Weggehen gegeben hat. Ich weiß nur, dass sie dich von ganzem Herzen geliebt hat. Wenn sie jetzt nicht hier ist, muss es dafür einen Grund geben, und wenn du bei dieser Wassernixensache keine Wahl hast, gibt es auch dafür einen Grund.
Ich habe nicht auf alles eine Antwort, im Grunde kenne ich überhaupt keine Antworten. Alles ist viel komplizierter, als ich es mir je vorgestellt habe. Du hast ja keine Ahnung, wie sehr ich mir wünsche, dir durch diese Sache hindurchhelfen zu können. Wie sehr ich mir wünsche, das alles in Ordnung bringen zu können. Aber ich kann es nicht und das raubt mir fast den Verstand.«
»Deshalb habe ich dir nichts gesagt. Es ist nicht deine Schuld.«
»Du bist meine Tochter, du leidest und ich kann dir nicht helfen. Natürlich ist das meine Schuld.«
»Tempest?«
Bei dieser Unterbrechung drehten wir uns beide um und sahen, dass Moku verschlafen im Türrahmen stand und ins Zimmer sah. Wahrscheinlich hatte ich ihn mit meinem Geschrei geweckt.
»Ja, Mo?« Ich ging zu ihm hinüber.
»Ich bin aufgewacht. Kann ich ein Glas Wasser haben?«
»Ich gehe mit dir runter, Kumpel.« Mein Vater legte ihm den Arm um die Schulter und ging mit ihm durch den Korridor, blieb aber kurz vor der Treppe stehen. »Schlaf ein bisschen, Tempest. Wir reden morgen früh weiter.«
»Das wird nichts ändern.« Vor meinem Zimmer schlug es ein Uhr. »Mir läuft die Zeit davon.«
»He, es ist morgen«, piepste Mo.
»Das stimmt«, bestätigte mein Vater.
»Alles Gute zum Geburtstag, Tempest.«
Mir wurde die Kehle eng. »Danke, Kumpel«, sagte ich mit erstickter Stimme.
»Was wünschst du dir zum Geburtstag?«, fragte er, während Dad ihn die Treppe hinunterlotste.
Ich antwortete ihm nicht. Ich konnte es nicht. Weil ich zu viel wollte und Todesangst hatte, nichts davon zu bekommen.
9
Nachdem mein Vater mit Mo gegangen war, warf ich mich aufs Bett und versuchte das, was er gesagt hatte, auszublenden. Versuchte alles, außer dem Rauschen des Ozeans, auszublenden. Es
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