Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer
mir kaum vorstellbar war, er könnte mehr sein als das.
»Tempest?«, sagte er drängend.
»Ich bin herumgelaufen.« Das hörte sich blöd an und entsprach nur halb der Wahrheit, aber seine Nähe und die neue Erkenntnis, die mir durch den Kopf schwirrte, lähmten mir das Hirn.
»Im Ozean?«, flüsterte er mir ins Ohr. Er war so nah, dass ich seinen heißen, nach Zimt riechenden Atem im Nacken und auf den Schultern spürte. Er atmete schwer und seine Brust bewegte sich heftig auf und ab, als wäre er lange gerannt.
Ich sah ins Wasser, in dem wir beide standen, und war geschockt, wie tief es war - und wie aufgewühlt. Es war viel unruhiger geworden, seit ich hineingegangen war, es schlug und schnappte nach mir wie ein gieriges Meeresgetier.
Und es war kalt, so kalt, dass es mich bis ins Mark fror, obwohl mir seine Temperatur normalerweise nichts ausmachte.
Ich hatte das merkwürdige und verwirrende Gefühl, dass mich das Wasser nach unten ziehen und fortschwemmen würde, wenn Kona nicht da wäre.
»Ich glaube schon. Ich habe nicht darüber nachgedacht.«
»Lass uns ans Ufer zurückgehen.«
Ich nickte. »Okay.«
Er hielt mich fest gepackt, während er auf das Land zusteuerte. Ich sah in sein Gesicht und stellte verwundert fest, wie wütend er aussah und dass er mit den Augen ständig das dunkle Wasser absuchte.
Ich klammerte mich fester an ihn und zum ersten Mal wurde mir klar, wie eng wir miteinander verbunden waren: seine Arme umschlangen mich wie Gurte, während er meinen Rücken an sich presste, als habe er Angst, zwischen Schultern und Knien auch nur die kleinste Lücke entstehen zu lassen.
Es donnerte über uns; Blitze ließen den Himmel aufleuchten und zuckten um uns herum. Mein Herz begann zu hämmern und ich atmete in schnellen, flachen Zügen, die nichts mit Anstrengung, aber viel mit Angst zu tun hatten.
»Was ist hier los?« Ich musste schreien, um mich in dem plötzlich eskalierenden Sturm verständlich zu machen.
»Spürst du es nicht?«
»Was?«
Doch ich brauchte keine Antwort mehr, denn mit einem Mal fühlte ich es auch. Finger umklammerten meine Fußknöchel und der Druck der Wellen schob uns ins offene Meer hinaus, obwohl wir nichts lieber wollten, als ans Ufer zurückzukehren. Eine Aura der Verzweiflung, von Hoffnungs- und Hilflosigkeit, umgab uns und bedrängte uns von allen Seiten.
Was hat das für einen Zweck?, fragte ich mich verstört. An was klammere ich mich eigentlich? Vielleicht sollte ich einfach ...
Tempest! Eine heftige Zurechtweisung schoss durch meinen Kopf, und es war Konas Stimme, die sie ausgesprochen hatte, während er mich fester packte. Das macht sie. Sie will dich. Du darfst ihr nicht nachgeben.
»Wer macht was?« Aber ich wusste es. Es war eine Wiederholung jener Nacht vor sechs Jahren, die fast originalgetreue Wiederkehr dessen, was ich schon einmal erlebt hatte. Nur dass ich diesmal nicht so einfach davonkommen würde. Ich spürte ihre Entschlossenheit und wäre um ein Haar geradewegs in mein Verderben marschiert.
Wie konnte ich nur so dämlich sein? Sie war kein Albtraum, keine Stimme in meinem Kopf. Sie war real und ich wäre ihr fast blindlings in die Falle gegangen.
Lass das! Wieder war Konas Stimme in meinem Kopf, schneidend wie zerbrochenes Glas. Vertrau mir einfach. Und halte noch ein paar Minuten durch.
Er zog mich ein weiteres Stück in Richtung Strand. Ich wollte ihm helfen, doch mein Körper war wie aus Blei und meine Füße unfähig, sich von allein zu bewegen.
Nicht schon wieder!, schrie mein verzweifeltes Hirn. Ich konnte mich doch nicht in eine Wassernixe verwandeln, wo ich so dringend ein Mensch sein musste.
»Entspann dich.« Diesmal sprach er laut, statt direkt in meinen Kopf zu funken. »Das ist im Moment die geringste deiner Sorgen.«
Kona wich wieder ein paar Schritte zurück, ohne den Griff auch nur einen Moment zu lockern. Lediglich mein Oberkörper folgte ihm. Meine Füße blieben, wo sie waren.
»Komm schon, Tempest! Du musst dagegen ankämpfen!«
»Gegen was?«, schrie ich, während ich gegen unsichtbare Fesseln anstrampelte. Angst fuhr mir mit scharfen Krallen den Rücken hinab, ich schluchzte, bäumte mich auf und wand mich, ohne zu wissen, was ich tat. »Da ist nichts!«
»Ich hab dir gesagt, sie will dich.«
»Wer will mich? Und wozu?«
Es waren die gleichen Fragen, die ich schon vor Jahren gestellt hatte, um dann von meiner Mutter zu hören, dass ich mich lediglich im Seetang verfangen und mir den Rest eingebildet
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