Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer
dermaßen beleidigt, dass ich mich fast selbst gekränkt fühlte. Doch da auch ich von diesem Teil meines Erbes nicht gerade begeistert war, hielt ich es für heuchlerisch, ihm seine offenkundige Abneigung zu verübeln.
»Wollen wir den ganzen Vormittag Ratespielchen spielen oder sagst du es mir auch so?«
»Was soll ich dir sagen?«
Ich verdrehte die Augen. »Komm schon, Kona. Spuck’s aus. Wenn du kein Wassermann bist, was bist du dann?«
18
Die Frage hing zwischen uns in der Luft, während Kona mich prüfend ansah, als wollte er einschätzen, wie ich auf seine Antwort reagieren würde. Ich muss zugeben, dass ich allmählich nervös wurde. So wie er sich benahm, hatte ich Angst, er könnte mir gleich gestehen, selbst ein blutsaugender Krake zu sein. Daher wusste ich nicht, ob ich erleichtert oder verwirrt sein sollte, als er schließlich achselzuckend sagte: »Ich bin ein Selkie.«
Ich brachte eine ganze Weile damit zu, in meinem Gedächtnis zu kramen und mich daran zu erinnern, was ein Selkie war. Ich hatte den Begriff schon einmal gehört, doch seine Bedeutung wollte mir einfach nicht einfallen. Ich war zugegebenermaßen nicht allzu bewandert in mythologischen - oder in diesem Fall nicht ganz so mythologischen - Wasserwesen, aber ich war mir ziemlich sicher, irgendwo schon einmal etwas über sie gelesen zu haben.
Dann tauchten vor meinem geistigen Auge plötzlich die schlanken dunklen Wesen auf, die ich vor Kurzem gesehen hatte, und ich verstand. Ohne nachzudenken platzte ich heraus: »Du bist ein Seelöwe?«
»Ich bin ein Selkie .« Diesmal knirschte er fast mit den Zähnen. »Das ist etwas völlig anderes.«
»Okay. Richtig. Ja, natürlich.« Mir schwirrte der Kopf. »Aber trotzdem bist du ein Gestaltwandler. Du verwandelst dich von einem Menschen in ...« Ich wurde immer leiser, weil ich das verhasste »Seelöwe« nicht noch einmal in den Mund nehmen wollte.
»Eine Robbe.«
»Genau.« Jetzt fiel es mir wieder ein. In einem Buch mit Meereserzählungen, das meine Mutter mir vorgelesen hatte, als ich noch klein war, hatte eine Geschichte über Selkies gestanden. »Und du hast ein Fell, das du abstreifst, wenn du an Land gehst, stimmt’s?«
»Stimmt.«
Mir kam ein schrecklicher Gedanke. »Hast du es etwa in San Diego gelassen, bei unserem Haus? Bist du deshalb immer noch ...«Ich deutete auf seine menschliche Gestalt.
»Nein. Ich bin in Menschengestalt, weil ich dich erwartet habe.« Er grinste. »Und weil sie mir am liebsten ist. Mein Fell habe ich immer bei mir.« Er zeigte auf seine Kette.
»Du hast es in dem Beutel?«, fragte ich staunend. Ich trat näher, um mir das Ding genauer anzusehen.
»Richtig.«
»Aber wie passt es da rein? Ich meine, du bist riesig und der Beutel...«
»Nicht?«
»Genau.«
»Ein Fell mit einem Zauberspruch schrumpfen zu lassen, ist ganz einfach. Nicht alle Selkies können das, aber meine Familie ist ziemlich talentiert im Zaubern - und überaus paranoid, wenn es darum geht, unser Fell bei uns zu tragen.«
Ich dachte an die Geschichte, die meine Mutter mir erzählt hatte, von einer Frau, die einen Selkie an sich gebunden hatte, indem sie ihm sein Fell fortnahm. »Wenn es von jemandem gefunden wird, hat er Macht über euch, nicht? Dann könnt ihr euch nicht zurückverwandeln und dürft die Person nie mehr verlassen.«
»Das stimmt.« Das Lächeln war aus seinem Gesicht gewichen.
»Kein Wunder, dass du es immer bei dir trägst.« Ich schauderte bei dem Gedanken, gegen meinen Willen festgehalten zu werden. Die Nixensache war schon schlimm genug, aber herrje, die Selkies waren noch viel schlimmer dran. »Ich würde es nicht eine Sekunde aus den Augen lassen.«
Da lachte er und ich beobachtete fasziniert, wie sich alles an ihm entspannte. Seltsam, dass ich das Ausmaß seiner Anspannung erst bemerkt hatte, als er losließ.
»Was ist denn so lustig?«
»Na, du.«
Ich machte ein gewollt finsteres Gesicht. »Das soll ich wohl als Beleidigung verstehen.«
»Das sollst du nicht. Es ist bloß verrückt, wie lange ich mir den Kopf darüber zerbrochen habe, wie du wohl reagierst, wenn du herausfindest, dass ich ...«
»Was?«
»... dass ich anders bin.«
Ich wollte ihn fragen, warum ihm meine Reaktion solche Sorgen bereitet hatte, doch der Ausdruck in seinen Augen verriet es. Sein Blick war dunkel, fesselnd und so brennend, dass mir fast die Luft wegblieb; er verriet mir alles, was ich über Konas Gefühle wissen wollte.
Kona rückte dichter an mich heran und mein
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