Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer
richtige Taktik zu sein, denn seine soeben noch recht streitlustige Mutter wirkte wie vom Donner gerührt. Statt weiter zu toben, starrte sie mich einfach nur mit großen Augen an, während sie tonlos den Mund auf- und zumachte.
Selbst Konas Vater, der bis zu diesem Zeitpunkt ein gehöriges Maß an Gleichmut bewiesen hatte, schien sprachlos zu sein.
Ich wollte gerade zu dem Schluss kommen, dass es wohl das Entsetzen darüber sein musste, ihren Sohn mit einer Wassernixe - oder noch schlimmer, einem Menschenmädchen - zu sehen, das ihnen die Sprache verschlug, als Konas Mutter die Hand ausstreckte und murmelte: »Wie schön, dich endlich kennenzulernen, Tempest.«
»Ja.« Konas Vater, der König, wie mir mit wachsendem Entsetzen klar wurde, schloss mich fest in die Arme. »Es wurde auch langsam Zeit, dass du den Weg hier herunter findest.«
»Ach ja?«
»Unbedingt. Wir warten schon lange auf dich.« Sein Lächeln war ebenso offen und herzlich wie seine Umarmung.
Was hatte das zu bedeuten? Hatte Kona ihnen von mir erzählt? Aber wir kannten uns doch erst seit ein paar Tagen - das war weit entfernt von der langen Zeit, die sein Vater beschrieben hatte.
»Das Warten hat sich gelohnt.« Die Königin musterte mich mit prüfendem Blick und wandte sich dann zu ihrem Ehemann um. »Sieht aus, als stimme die Prophezeiung haargenau, findest du nicht?«
»Welche Prophezeiung?«, fragte ich, erstaunt darüber, dass Konas Eltern es schafften, noch verwirrender und rätselhafter zu sein als ihr Sohn. Der Apfel war offensichtlich nicht weit vom Stamm gefallen.
»Ach, mach dir darüber im Augenblick keine Gedanken«, gurrte seine Mutter nun. »Wir unterhalten uns später, wenn du dich ausgeruht hast.«
Sie blendete mich fast mit ihrem Lächeln - aber vielleicht lag es auch an dem Diamantanhänger, den sie an ihrer Kette trug. So oder so bemühte ich mich um eine ebenso freundliche Reaktion, schaffte es aber nur mit Mühe, die Mundwinkel hochzuziehen.
Die Wände kamen immer näher und ich fühlte mich plötzlich und sehr eindringlich wie Alice, nachdem sie ins Kaninchenloch gefallen war.
Vierter Teil
»Das sind die Zeiten träumerischer Stille, da man über der ruhigen Schönheit und Schimmerigkeit der Ozeanhaut das Tigerherz vergisst, das darunter schlägt.«
HERMAN MELVILLE
19
Früh am nächsten Morgen spazierten Kona und ich schweigend zum Ozean hinab. Am Saum des Wassers hatte man einen kleinen Tisch aufgestellt, auf dem sich frische Früchte und Gebäck türmten. Eine Karaffe mit tropischem Saft lehnte in einem goldenen Eiskühler, in dessen Rand Juwelen von der Größe einer Babyfaust eingearbeitet waren. Direkt daneben stand ein riesiger Strauß mit den schönsten und exotischsten Blumen, die ich je gesehen hatte.
Hätte ich es nicht besser gewusst, hätte ich geglaubt, im Paradies zu sein.
Konas Eltern hatten sich mir gegenüber förmlich überschlagen am vergangenen Abend. Seine Mutter hatte Kleider für mich heranschaffen lassen - diesmal in meiner Größe - und Vernon (der doch nicht Alfred hieß) wurde befohlen, ein gemästetes Kalb für mich zu schlachten, das in diesem Fall ein Schwertfisch war. Das Abendessen war eine förmliche Angelegenheit, so ziemlich das glatte Gegenteil dessen, was sich normalerweise bei mir zu Hause abspielte und dennoch als Familienmahlzeit gelten konnte.
Der König saß am einen Ende eines langen polierten Tisches und die Königin am anderen. Kona und seine Schwester Alana, von der ich die zu engen Sachen bekommen hatte, saßen zwischen ihnen verteilt. Von seinen anderen Geschwistern war niemand zu Hause.
Die Unterhaltung wogte um mich herum und obwohl ich mit keinem Wort erwähnt wurde, spürte ich eine Energie in der Luft, eine Erregung, die alle am Tisch erglühen ließ. Alle außer mir, die ich nach wie vor von außen zusah. Eine Position, die mir langsam zum Hals heraushing.
Als wir uns jetzt an den Frühstückstisch setzten, sah Kona mich an und erwischte mich bei einer Grimasse. »Was ist los?«, fragte er.
»Was soll schon los sein? Deine Familie behandelt mich, als wäre ich eine Mischung aus Zauberin und weiblichem Messias, und ich habe nicht die geringste Ahnung, warum. Ich stelle Fragen, die nicht beantwortet werden, sitze in einer Art Zeitschleife gefangen und habe seit mehr als sechsunddreißig Stunden nicht mehr geschlafen, weil ich zu sehr damit beschäftigt bin, herauszufinden, was zum Teufel hier vor sich geht.«
Konas Lächeln war
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