Deebs, Tracy - Tempest - 01 - Tochter des Meer
bin der Grund für all das?«
»Nicht du. Das, was sie in dir sieht. Naja, das und dein siebzehnter Geburtstag.«
»Aber das ist Wahnsinn. Ich will doch nur, dass man mich in Ruhe lässt, damit ich malen kann. Ich will surfen und in Paris studieren und mich um meine kleinen Brüder kümmern. Ich will ein Mensch sein.«
»Tja nun, wir bekommen nun mal nicht immer, was wir uns wünschen.«
Ich achtete nicht auf ihn. »Wenn ich daran schuld bin, dass Tiamat so aus dem Häuschen geraten ist, warum hast du sie dann auf mich aufmerksam gemacht? Warum bist du überhaupt an Land gekommen? Ich nehme mal an, dass du neulich nicht zufällig an diesem Strand in Del Mar warst.«
Kona griff nach einem Granatapfel, zerteilte ihn mit einer Hand und gab mir die Hälfte. »Du bist die große Unbekannte. Diejenige, die das Potenzial hat, die Waagschale nach einem Zeitalter des Friedens kippen zu lassen. Ich wollte mir dich einfach ansehen.«
»Du wolltest mich einfach ...«Ich dachte daran, wie er mich geküsst hatte, wie die Welt um mich herum versunken war, als er mich in seine Arme zog, wie seine Blicke mir gefolgt waren, sobald er in meine Nähe kam. War das alles nur ein Spiel gewesen? Ein Möglichkeit für ihn, herauszufinden, aus welchem Holz ich geschnitzt war?
Und dann dachte ich an Mark, an die Art, wie er mich an jenem letzten Abend angesehen hatte, als könnte er nicht glauben, dass ich mich wirklich für Kona interessierte. Und plötzlich ging es mir ebenso.
»Ich glaube nicht, dass mir die Richtung deiner Gedanken gefällt.« Kona beugte sich vor und nahm meine Hand.
Ich riss sie fort. »Bist du am Ende schon wieder in meinem Kopf?«
»Schön wär’s. Aber du lässt nichts erkennen, also muss ich raten, was du denkst. Egal, wie deine Gedanken aussehen, sie sind offensichtlich nicht gut.«
Was meinte er damit, dass ich nichts erkennen ließ? Ich schob die Frage - und den Schmerz darüber, dass ich für Kona nur ein Kuriosum gewesen war - beiseite, um mich später damit zu beschäftigen. Im Moment musste ich mir den Kopf über wichtigere Dinge zerbrechen, als über die Frage, wie Kona es schaffte, meine Gedanken zu lesen. Oder welche Gefühle er für mich hegte.
»Diese ganze Unterhaltung ist doch lächerlich. Eine einzelne Wassernixe kann unmöglich so viel bewirken. Ich habe den Wandteppich gesehen. Es gibt Hunderte wie mich.«
»Eher Hunderttausende. Wassernixen gibt es in sämtlichen Meeren der Welt.«
»Aber das beweist doch, was ich sage. Wie soll ich das Gleichgewicht verschieben, wenn ich mich mit dem Leben hier unten gar nicht auskenne? Ich habe nicht den blässesten Schimmer von den Geheimnissen, die ihr hier alle zu hüten scheint.«
Kona erwiderte nichts, sondern bröselte weiter die Granatapfelkerne aus der Frucht, als wartete er darauf, dass ich selbst auf den Zusammenhang kam.
Ich weiß nicht, wie lange ich dasaß und hoffte, dass mir endlich ein Licht aufging. Als es so weit war, überkam mich eine derart beklemmende Furcht, dass ich kaum sprechen konnte. »Du redest wieder von dieser Prophezeiung?«, sagte ich mit einer Stimme, die kaum mehr als ein Flüstern war.
»Ja.«
»Aber du glaubst nicht wirklich an solche Dinge, oder?«
»Es ist ziemlich schwer, es nicht zu tun, wenn man wie ich so vieles hat wahr werden sehen.«
Meine Hände waren zu Fäusten geballt und die Fingernägel stachen mir in die Handflächen, obwohl ich den Schmerz kaum wahrnahm. »Wie lautet sie?«
Seine Antwort ließ eine halbe Ewigkeit auf sich warten und als sie schließlich kam, sprach er so leise, dass ich ihn kaum verstand.
»Von Purpurfarben bedeckt, kommt sie in der Dunkelheit.
Mit ungeahnten Kräften, halb Mensch, halb Meeresmaid.
Im Blitzschlag geboren, mit Tränen getränkt,
Erstrahlt Magie, wo ihre Hitze versengt.
Die Schlacht rückt näher und eine wird fallen,
Wenn Gut und Böse aufeinanderprallen.
Ungewiss der Sieger, das Schicksal hält Wacht,
Ein Wintersturm dräut, erzählt uns die Nacht -
Tempestas erhebt sich, nehmt Euch in Acht.«
Als er fertig war, sah er mich an und wartete stumm auf meine Reaktion. Da ich ungefähr eine Million verschiedene auf Lager hatte, die von Unglauben bis Heiterkeit reichten - schließlich hatte ich diesen Reim als Kind so oft von meiner Mutter gehört, dass ich ihn mit Kona im Chor hätte aufsagen können -, gab ich das Erstbeste von mir, das mir in den Sinn kam. »Das war’s? War das deine große Prophezeiung? Das ist ein Kindergedicht.«
Er lachte.
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