Deep Secrets - Berührung
tolles Haar, und es fällt ihm bis zum Kinn. Er muss doch Gel oder irgendetwas in der Art besitzen.
Ich zögere, dann greife ich nach dem Rasierwasser und sprühe es in die Luft, atme den vertrauten Geruch von Chris ein, warm und wunderbar und stark. Wenn du glaubst, dass der Mann, der versucht, dich zu beschützen, statt über dich hinwegzutrampeln, derjenige ist, der versucht, dein Leben zu bestimmen, bist du genauso verkorkst wie ich. Und mir wird etwas klar. Ich bin genau wie er. Wir sind zerstörerisch, und wir warten darauf, was das Zerstörerische mit uns anrichtet. Er ist eine Droge, so wie Rebecca den Mann in ihrem Tagebuch genannt hat, und ich bin längst süchtig.
Ich schüttle den Gedanken ab und stelle das Rasierwasser in den Schrank zurück. Immer noch ohne Haarstyling beschließe ich, mich auf mein Make-up zu konzentrieren. Ich greife mir meine Handtasche und ziehe das Tagebuch heraus, um an die Schminke heranzukommen. Ich lege das Buch auf die Ablage und starre es an, als sei es eine Bombe. »Wo bist du?«, flüstere ich, aber ich bin mir nicht sicher, ob ich mit ihr rede oder mit mir selbst. Ich habe mich in Rebeccas Leben verirrt und frage mich, ob ich gefunden werden will. Und will sie gefunden werden, wo immer sie ist? Ist sie in ein neues Leben entkommen, so wie ich es getan habe?
Mit Rebecca im Hinterkopf konzentriere ich mich darauf, mit meinem Make-up einen weichen, natürlichen Look zu erzeugen, und vollende das Ganze mit Lipgloss. Ich schalte den Föhn ein und wünsche mir immer noch eine Föhnlotion. Zehn Minuten später ist mein Haar trocken und ziemlich wild. Ich würde töten für ein Glätteisen.
Ich streife das Handtuch ab, greife nach dem Bademantel und hülle mich darin ein, um meine Kleider zu suchen. Am Badschrank halte ich inne und öffne ihn abermals, greife nach Chris’ Rasierwasser und bespritze mich damit. Dann hole ich tief Luft, atme den erdigen Duft ein und lächle. Jetzt rieche ich wie Chris.
Zaghaft ziehe ich die Badezimmertür auf, und Chris ist nirgends zu sehen, aber die Schlafzimmertür steht offen. Meine nackten Fußsohlen erspüren den Hartholzboden, und mein Blick fällt auf das gewaltige Bett. Darauf liegen sieben oder acht Tüten, alle von zwei Luxusläden, von denen ich weiß, dass sie sich im Gebäude nebenan befinden. Auf dem Boden liegt ein Damenreisekoffer von Louis Vuitton, der zweitausendfünfhundert Dollar gekostet haben muss.
Meine Kehle wird trocken, die Brust eng. Ich sehe mir die Tüten genauer an – sie sind voller Kleider, Schuhe und sogar, ja, Kosmetikartikel. Nicht einmal das Glätteisen fehlt. Ein sehr teures Glätteisen, das meinem, das ich zu einem Schnäppchenpreis erworben habe, Hohn spricht.
Ich war vielleicht fünfundvierzig Minuten im Bad, und irgendwie hat Chris während der Zeit einen Großeinkauf getätigt. Oder vielmehr hat er unten angerufen, und das Personal ist sofort losgeschossen. Es sind alles teure Sachen, Tausende von Dollar wert.
Mein Herz pocht heftig. In solchen Läden habe ich früher eingekauft und es genossen. Sicher, ich habe das Geld hinter mir gelassen, aber ein bescheideneres Leben war nicht leicht. Ich habe den Hunger nach mehr verdrängt, zusammen mit allem anderen, was ich mit meiner Vergangenheit assoziiert habe. Ich habe mich selbst davon überzeugt, dass es mir gutging, dass ich diese Dinge nicht brauchte, dass es mir egal war, aber während ich die Tüten anstarre, ist da ein Schmerz in mir, und ich weiß, es geht nicht einfach um schöne Dinge. Es geht um alles, was ich zurückgelassen habe, darum, wie leicht mich dieses alte Leben vergessen hat, selbst wenn ich es nicht vergessen habe.
»Alles, was dir nicht gefällt, können wir zurückbringen, wenn wir wieder in der Stadt sind.«
Ich drehe mich um und sehe Chris in der Tür stehen, eine Schulter an den Türrahmen gelehnt, und er sieht sexy und sehr männlich aus. »Ich kann diese Kleider nicht annehmen.«
Er stößt sich vom Türrahmen ab. »Natürlich kannst du.«
»Nein. Nein, ich kann nicht.« Panik steigt in mir auf.
Er tritt vor mich hin. »Sara …«
»Ich will nur schnell bei meiner Wohnung vorbeifahren und meine Sachen holen.«
»Ich habe für uns reserviert, und wir haben mehr als eine Stunde Fahrt vor uns. Wir müssen sofort aufbrechen.«
»Chris.« In meiner Stimme liegt eine Verzweiflung, die ich nicht unterdrücken kann. »Ich kann diese Sachen nicht annehmen.«
»Sara, Baby. Wenn es um Geld geht, das ist kein Thema.
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