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Deer Lake 01 - Sünden der Nacht

Deer Lake 01 - Sünden der Nacht

Titel: Deer Lake 01 - Sünden der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tami Hoag
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verharren. Die Tür stand offen, gedämpftes Licht ergoß sich wie ein Mondstrahl auf den Teppich. Sie lugte durch den Spalt und sah Pater Tom in dem alten Korbschaukelstuhl sitzen, mit Lily auf dem Schoß, die Arme um sie geschlungen, damit er das Bilderbuch halten konnte, aus dem er ihr vorlas.
    Jeder Fremde hätte gedacht, sie seien Vater und Tochter. Tom mit seinem Sweatshirt, der zerknitterten Cordhose und seiner goldgeränderten Brille, die im Lampenschein blitzte. Lily in einem violetten Schlafanzug, mit rosa Bäckchen, die großen Augen schon halb geschlossen, schläfrig und zufrieden nuckelnd bei den Abenteuern von Winnie dem Puh und seinen Freunden.
    Etwas regte sich in Hannah, das sie nicht wagte beim Namen zu nennen, etwas, das einen Beigeschmack von Enttäuschung und Scham hatte.
    Sie trat ein, nachdem sie das Gefühl verwirrt aus dem Weg räumte. Tom war ein Freund, und sie brauchte einen Freund, darum ging es – keine Komplikationen, nichts, was Reue erzeugte. Er beendete die Geschichte, klappte das Buch zu, dann schauten beide erwartungsvoll zu ihr hoch.
    »Hallo, Mama«, Lily legte den Kopf zur Seite und blinzelte.
    »Tag, kleiner Käfer. Alle sind fort.« Sie bückte sich und nahm ihre Tochter auf den Arm. Lily kuschelte sich an sie, schnaufte schläfrig.

    »Paul auch?« Tom zog die Brauen hoch. Er stand auf und machte einen halbherzigen Versuch, die Falten aus einer Hose zu klopfen.
    »Ich weiß nicht, wohin er gegangen ist«, Hannah senkte die Lider. Sie wollte das Mitleid in seinen Augen nicht sehen, hatte es satt, von Leuten bemitleidet zu werden.
    »Ich hab den Streit gehört«, sagte er leise. »Er hat es sicher nicht so gemeint, schlägt jetzt um sich. Natürlich hilft das nicht gegen den Schmerz. Ich weiß …«
    Sie schüttelte den Kopf. »Es spielt keine Rolle.«
    »O doch«, widersprach Tom. »Er sollte einsehen, daß du nicht schuld bist oder dir zumindest verzeihen.«
    »Warum sollte Paul mir verzeihen, wenn ich mir nicht einmal selbst verzeihen kann?«
    »Hannah …«
    »Es ist wahr.« Sie wanderte ruhelos durch das gemütliche Schlafzimmer mit seinen zartrosa Wänden und den Beatrix-Potter-Dekorationen. »Tausend Mal habe ich diesen Abend durchgelebt. Hätte ich doch bloß das getan, hätte ich doch bloß dies getan … Es kommt immer wieder auf dasselbe raus: Ich bin Joshs Mutter. Er hat sich auf mich verlassen, und ich habe ihn vergessen. Wer, Himmel noch mal, sollte mir diese Sünde vergeben?«
    »Gott vergibt dir.«
    Diese Feststellung war so arglos, das sie Hannah fast kindisch in ihrem Vertrauen vorkam. Sie wandte sich ihm zu, in der Hoffnung, er könnte ihre Fragen deutlicher beantworten, obwohl ihr die momentane Aussichtslosigkeit völlig klar war.
    »Warum bestraft er mich dann ohne Ende?« bohrte sie, und der Schmerz schwoll erneut an. »Womit hab ich das verdient? Was hat Josh getan oder Paul? Ich begreife es nicht.«
    »Niemand kennt das Schicksal«, flüsterte er mit heiserer Stimme. Er verstand es genauso wenig wie sie, und das war seine Sünde, wie er annahm – eine von vielen – nämlich, daß er dem Gott, den er kennen sollte, nicht vertraute. Wie konnte so etwas für irgend jemanden das Beste sein? Warum sollte Hannah leiden, wo sie doch so vielen Menschen soviel gab? Er konnte es nicht akzeptieren oder sich selbst daran hindern, dem Gott, dem er sein ganzes Leben gewidmet hatte, gegenüber Zorn zu empfinden! Genauso wie Hannah fühlte er sich verraten. Und deshalb empfand er Schuld, und seine Schuldgefühle machten ihn rebellisch wegen der Beschränkungen, die ihm seine Position
auferlegte. Obendrein beschlich ihn Angst bei dem Gedanken, wohin ihn die Gewissensnot treiben könnte. Die Emotionen bewegten sich immer weiter spiralförmig nach unten.
    »Es tut so ungeheuer weh«, Hannah klang gequält. Sie schloß die Augen, drückte Lily fest an sich und wiegte sie hin und her.
    Tom nahm sie, ohne zu zögern, in die Arme und zog sie an sich. Sie litt, er würde sie trösten. Wenn dafür später Konsequenzen fällig wären, würde er sie bezahlen. Er drückte Hannahs Kopf an seine Schulter, streichelte ihr Haar und beruhigte sie. »Ich weiß, daß es weh tut, Hannah«, flüsterte er. »Wie gerne würde ich etwas dagegen tun, irgend etwas, um dir zu helfen, um dieses Leid von dir zu nehmen.«
    Hannah gestattete sich, an seiner Schulter zu weinen. Sie nahm den Trost, den er ihr bot; es tat so wohl, von seinen Armen gehalten zu werden.
    Zärtlichkeit … er fühlte,

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