Deer Lake 02 - Engel der Schuld
falsch!« flüsterte sie. Sie schloß die Augen und kämpfte gegen die Tränen. Sie konnte es sich nicht leisten zu weinen. Das Spiel war noch nicht vorbei.
Er sagte, es sei ein Spiel.
Ein Spiel – bei dem Leben, Verstand, Zukunft und Karriere so vieler Menschen auf dem Spiel standen. Ein Spiel ohne Regeln und Grenzen, mit gesichtslosen Spielern und versteckten Plänen.
Jay beobachtete ihren Kampf. Es ging ihr zu nahe, sie kämpfte zu hart, nahm sich alles zu Herzen. Im Gegensatz zu ihm. Er hatte aufgehört, an irgend etwas zu glauben, hatte sich den Kämpfen entzogen, nicht geduldet, daß etwas sein Herz rührte – außer dem Anblick dieser weinenden Frau.
Wenn du einen Funken Verstand h ä ttest, w ü rdest du jetzt einfach die T ü r hinter dir zumachen, Brooks.
Statt dessen nahm er sie in die Arme und führte ihren Kopf an seine Schulter. Sie widersetzte sich jeder Bewegung, blieb steif wie ein Brett. Er senkte seinen Kopf, strich mit seiner Wange über ihre Schläfe.
»Ist schon okay«, flüsterte er. »Im Sturm ist jeder Hafen recht, Counselor. Jetzt weinen Sie sich schön aus. Ich schwöre, es bleibt unter uns.«
Die Tränen kamen in einem heftigen Sturzbach, durchtränkten sein Hemd. Sie drückte ihre Fäuste gegen seine Brust, versuchte aber nicht, ihn von sich zu schieben. Jay schlang seine Arme um ihre schmalen Schultern, fühlte zum allerersten Mal den Drang, jemanden zu beschützen, so absurd das auch war. Er wollte sie beschützen, während sie alles tat, um sich vor ihm zu schützen. Sie vertraute ihm nicht, hatte allen Grund, ihm nicht zu vertrauen.
Du bist ein verdammter Narr, Brooks.
Er war nur ein Beobachter, der ihr Leben streifte. So mochte er es – wie ein Schatten von einem Fall zum anderen gleiten, aufnehmen, interpretieren, weiterziehen, nie etwas zu nahe an sich heranlassen, nie zulassen, daß etwas sein Herz berührte. Das war am klügsten, am sichersten, am leichtesten. Deshalb scheute er immer vor frischen Fällen zurück, er zog es vor dazuzustoßen, wenn die physischen und emotionalen Feuerstürme vorübergezogen waren. Wie ein Aasgeier. Und trotzdem stand er jetzt hier, mit der Anklägerin in seinen Armen, ein Teil seines Verstandes wanderte den Gang hinunter, dorthin wo das Schlafzimmer sein mußte.
Ein Narr und ein Schuft.
Aber trotz aller Selbstbezichtigungen ließ er Ellen nicht los. Sie hinderten ihn nicht daran, ihren sanften Duft einzuatmen, seinen Kopf zu drehen, die zarte Haut ihrer Schläfen mit seinen Lippen zu berühren. Die Wärme, die in seinem Inneren schwoll, der Hunger nach Berührung waren nur zum Teil sexueller Natur. Benommen und verwundert fragte er sich, wer mehr Trost in dieser Umarmung fand. Er fühlte sich wie ausgehungert nach menschlichem Kontakt und wußte, daß seine Zurückhaltung sowohl ein Akt der Selbstkasteiung als auch der Selbsterhaltung gewesen war.
Was bist du nur f ü r eine bemitleidenswerte Seele, Brooks . . .
Das Bedürfnis überholte die innere Stimme. Er küßte ihre von Tränen feuchte Wange. Er küßte ihren weichen, zitternden Mund. Seine Lippen bewegten sich langsam und sinnlich über ihre. Zärtlich, zögernd, mit Sehnsucht nach mehr, als er zu nehmen wagte. Er brauchte ihren frischen Geschmack wie Luft, wie Wasser. Ihr Mund öffnete sich unter seinem, er fing ihren Atem ein und gab ihn ihr zurück. Langsam strich er mit der Zungenspitze über die weiche innere Wölbung ihrer Unterlippe, dann wagte er sich tiefer in die seidige Wärme ihres Mundes. Mit einer Hand umfing er ihren Kopf, seine Finger schlangen sich in die Seide ihres Haars. Mit der anderen Hand umfing er ihr Gesicht, seine Fingerspitzen strichen über die Linie ihrer Wange, sein Daumen tastete sich bis zu ihrem Mundwinkel vor. Ein leiser Ton der Sehnsucht entwich ihrem Mund, und sein Verlangen loderte auf wie eine Flamme.
Verlangen. Heißes, brennendes Verlangen. Ellen war völlig überrascht davon, aber sie griff verzweifelt danach und klammerte sich daran fest. Die Alternative waren Angst und Schwäche. Es war ein brandendes Gefühl von Leben, vital, zerbrechlich und stark zugleich. Sie nahm alles tief in sich auf – das Gefühl seines Mundes, der ihren ganz umfangen hatte, heiß und naß, seinen Geschmack, düster und erotisch, seine Zunge, suchend, streichelnd, den Rhythmus des Kommenden vorwegnehmend. Er zog sie dicht an sich, noch dichter, seine Hand glitt ihren Rücken hinunter, drückte ihre Hüften gegen seine, er ließ sie seine Erregung, seine
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