Deer Lake 02 - Engel der Schuld
vorläufigen Bericht über einige unserer Indizien zu geben – die Handschuhe, die Skimaske und das Laken, in das Agent O'Malley an dem Abend, an dem sie überfallen wurde, gewickelt war.«
»Und?«
»Der Handschuh hat Blutflecke, es ist offenbar die gleiche Blutgruppe wie die von Agent O'Malley. Die Blutgruppen auf dem Laken kennen wir bereits. Jetzt schauen wir uns mal die Haare an, die an dem Laken gefunden wurden. Vier verschiedene Typen. Einer davon nicht identifiziert. Einer paßt zu Agent O'Malley. Einer zu Josh. Und einer zu Garrett Wright.«
»Endlich haben wir Glück«, sagte Ellen. Ein Gefühl der Erleichterung durchströmte sie.
»Was die Skimaske betrifft«, fuhr Wilhelm fort, »da hat man zwei unterschiedliche Typen von Haaren gefunden – einer paßt zu Wright, und einer paßt zu dem nicht identifizierten Haar auf dem Laken.
»Die Frage ist jetzt«, sagte er, »wem gehört dieses andere Haar? Und wenn wir eine Probe von Paul Kirkwood kriegen könnten – würde sie damit übereinstimmen?«
21
Pater Tom saß in einer Bank im hinteren Teil der Kirche. Auf der linken Seite des Kirchenschiffs – gegenüber der Stelle, an der sein ehemaliger Diakon, Albert Fletcher, vor sechs Tagen zu Tode gestürzt war. Albert, ein frommer Diener des Herrn, dessen Glaube sich zuerst in Fanatismus und dann in Irrsinn verwandelt hatte; einen Irrsinn, der ihn in den Tod geführt hatte, hier, an diesem Ort, den er geliebt hatte. Tom konnte sich nicht entscheiden, ob er das für poetisch oder für ironisch halten sollte. Es war traurig, das wußte er. Und er fand es grausam, wie so viele Dinge in diesen Tagen.
Er saß allein da. Das Wetter hatte die Gläubigen von der Morgenmesse ferngehalten. Er hatte die Messe für sich selbst gehalten, in der Hoffnung, daß er etwas fühlen würde, vielleicht eine Art tiefer, bindender Bestätigung, daß er noch in diesen Talar gehörte. Aber das einzige, was er empfand, war eine hohle Verzweiflung, als sei er völlig allein, verlassen von demselben Gott, der zugelassen hatte, daß Josh entführt wurde, Hannah leiden und Albert sterben mußte.
Er hatte überlegt, ob er seine Gefühle beichten sollte, aber er kannte die leeren Phrasen, mit denen man ihn abspeisen würde. Er wurde geprüft. Er mußte nachdenken, beten. Er mußte seinen Glauben bewahren. Ein Klaps auf den Kopf und hundert »Gegrüßet seist du, Maria«. Schlimmstenfalls würden sie ihn eine Woche oder einen Monat in Klausur schicken, an einen dieser abgeschiedenen Orte, wo die Kirche ihre Peinlichkeiten versteckte – die alkoholsüchtigen Priester, die seelisch Zerbrochenen, die sexuell Verdächtigen. Zeit zum Nachdenken, aber nicht zu lange, weil die Erzdiözese einen beklagenswerten Priestermangel hatte und es immerhin besser war, einen in der Gemeinde zu haben, der den Glauben verloren hatte, als gar keinen. Zumindest konnte er so tun als ob.
Die Politik der Kirche widerte ihn an. Sie hatte ihn immer schon angewidert. Er war aus besseren Gründen zum Priesteramt gekommen, aus edleren. Aus Gründen, die ihm jetzt allmählich entglitten.
Er legte den Kopf zurück und sah hinauf zu der hochgewölbten Decke mit den zarten vergoldeten Bögen und den ätherischen Fresken. Die Kirche war in einer Zeit gebaut worden, in der man sich noch kleine Kathedralen leisten konnte, weil die Gemeindemitglieder ihren Obolus an die Kirche statt an die IRA entrichteten. Die Außenwände waren aus dem Sandstein, den es in der Gegend gab. Die Glockentürme ragten wie Lanzen der Soldaten Gottes in den Himmel. Die Fenster waren Kunstwerke aus Bleiglas, Mosaiken in Edelsteinfarben, die das Leben Christi darstellten. Die Innenwände waren schieferblau gestrichen und mit Mustern in Gold und Weiß und Rosa verziert. Die Bänke waren aus Eiche, die Fußbänke mit abgewetztem Samt gepolstert. Es war ein Ort, der Ehrfurcht einflößen und Trost bieten sollte. Ein Ort der Rituale und wunderbaren Mysterien. Wunder.
Jetzt könnte er eins gebrauchen.
Entlang der Südwand hütete ein Gestell mit kobaltblauen Schälchen die Flammen von drei Dutzend Opferkerzen, die die Luft mit dem fettigen Geruch schmelzenden Wachses erfüllten. An der Wand neben den Kerzenreihen waren die handgemalten Poster mit Gebeten für Joshs sichere Rückkehr, die die Katechismusklasse aufgehängt hatte, durch Poster mit Gebeten für Dustin Holloman ersetzt worden. Gebete, die Kinder nie sprechen sollten, Ängste, die ihr Leben nie hätten berühren dürfen.
In der Stille
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