Deer Lake 02 - Engel der Schuld
schloß. Er war glatt rasiert, sein feingestreiftes weißes Hemd war akkurat gebügelt, die Bügelfalte seiner Hose messerscharf. »Das muß ein sehr seltsamer und unangenehmer Vorfall gewesen sein.«
»Stellen Sie sich vor, wie dem Richter dabei zumute war«, sagte Jay trocken. Sein Blick fiel auf ein gerahmtes Foto im Bücherregal: Josh in einer zu großen Baseballuniform. Paul kniete mit einem stolzen, albernen Grinsen auf seinem hageren, gutaussehenden Gesicht neben ihm. Das Bild traf Jay ganz unvorbereitet.
»Josh ist wohl ein richtiger kleiner Athlet?« fragte er und deutete mit dem Kopf auf das Foto. »Baseball, Eishockey. In der Nacht, in der er entführt wurde, war er beim Eishockey, richtig?«
»Ja. Er ist Flügelstürmer im Zwergenteam. Hannah sollte ihn an diesem Abend abholen, aber sie ist im Krankenhaus aufgehalten worden . . .«
Er sprach sehr bedächtig, versuchte keinen Vorwurf mitklin gen zu lassen, aber ein Hauch davon blieb, wie der Schatten eines Kaffeeflecks, der sich nicht aus einem Hemd waschen ließ. Das Gefühl hatte sich in seinem Tonfall festgesetzt.
»Ich bedaure Ihren Schmerz«, sagte Jay. »Ich kann nur ahnen, wieviel Sie und Ihre Frau durchgemacht haben. Und wenn sich dann noch herausstellt, daß der Täter jemand ist, den Sie gekannt, dem Sie vertraut haben . . . Das muß ein Mordsschock gewesen sein.«
»Sie haben ja keine Ahnung«, murmelte Paul.
»Lassen Sie mich Ihnen erzählen, was ich hier mache, Mister Kirkwood.«
Jay ging um den Schreibtisch herum und sah durch das schmale Fenster auf einen Parkplatz voller Autos, die mit winterlichem Schmutz verkrustet waren.
»Was hier vorgeht, was hier vorgehen wird, wenn der Fall vor Gericht kommt, hat das Interesse der Nation geweckt«, sagte er und drehte sich um. »Ein Verbrechen wie dieses legt in einer kleinen Stadt viele Nerven bloß. Wenn ein solches Verbrechen in Deer Lake, Minnesota, verübt werden kann, dann kann es überall geschehen. Die Leute möchten das Gefühl haben, ein wenig zu verstehen, warum das so ist und was sie tun könnten, um es zu verhindern.«
»Sie möchten ein Buch über Joshs Entführung machen.«
»Möglicherweise. Wahrscheinlich. Es ist eine faszinierende Geschichte. Kompliziert. Fesselnd. Ich denke, daß sich das im Lauf des Prozesses noch steigern wird.«
»Und Sie möchten mir einen Deal vorschlagen?«
Jay hob den Blick von den penibel arrangierten Gegenständen auf dem Schreibtisch. In Paul Kirkwoods tiefbraunen Augen schimmerten Dollarzeichen.
»Einen Deal?« sagte Jay und stellte sich dumm.
Kirkwood hob die Schultern. » Inside Edition hat mir hunderttausend geboten.«
Und du wartest darauf, daß ich sie überbiete, dachte Jay. Das hatte er schon öfter über sich ergehen lassen. Manchmal warfen ihn die Opfer aus ihren Häusern, empört von der bloßen Vor stellung, daß jemand ein Buch über ihre Tortur schreiben wollte, und manchmal wollten sie von ihm für ihr Leid entschädigt werden, als hätte er selbst das Verbrechen begangen, einzig und allein mit dem Ziel, das Szenario für sein Buch zu arrangieren. Und dann waren da noch die Paul Kirkwoods dieser Welt. Aus Paul Kirkwoods Poren troff Habgier wie Schweiß. Und Ellen h ä lt mich f ü r einen Profithai . . .
»Ich mache keine Deals, Mister Kirkwood. Was ich schreibe, ist keine Biographie. Die Geschichte wird viele Leute betreffen. Wenn ich irgendeinem von ihnen einen Teil des Buches zugestehen würde, würde ich riskieren, daß die Geschichte durch seinen Standpunkt verzerrt wird. Im Gegensatz zu dem, was manche vielleicht glauben, habe ich einen ethischen Standpunkt und handle auch danach.«
»Und es ist nicht Teil Ihrer Ethik, die Millionen, die Sie mit einem Buch verdienen, zu teilen?« Paul fixierte ihn böse, sah dabei aber eher wie ein trotziger Junge aus. »Ich begreife nicht, wie Sie ein Buch über Ereignisse im Leben eines Menschen veröffentlichen können, ohne ihn dafür zu entschädigen.«
»Es ist so, Mister Kirkwood: Das Verbrechen, der Prozeß, das alles ist Wissen, das jedermann zugänglich ist. Wenn Sie sich dafür entscheiden, mit mir zu reden, dann werde ich vielleicht Ihren Standpunkt mit aufnehmen. Wenn Sie sich dafür entscheiden, nicht zu reden, dann bin ich gezwungen, mir ein Urteil auf Grund der Aussagen anderer und der Berichte über die Ereignisse zu bilden. Es ist Ihre Entscheidung.«
»Es ist mein Leben«, keifte Paul. »Ich verdiene . . .«
Jays Augen wurden schmal.
»Josh ist mein Sohn«,
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