Deer Lake 02 - Engel der Schuld
außerordentlich gut in dem, was er macht. Unterschätzen Sie ihn nicht, und lassen Sie nicht zu, daß er Ihnen unter die Haut kriecht.«
Sie stellte den Motor des Bonneville ab, blieb einen Moment sitzen und sah sich das Heim der Kirkwoods an, ein mit Zedernholz verkleidetes Haus mit vielen Ebenen, das sich reizvoll in seine bewaldete Umgebung einpaßte. Es war auf dem letzten großen Grundstück an dieser Straße gebaut und hatte freien Blick auf den See im Westen. Im Norden und Osten umgaben die dichten Wälder von Quarry Hills den Besitz und verliehen ihm eine Aura von Exklusivität, die sicher eine Stange Geld gekostet hatte. Im Vorgarten zeugte eine halbfertige Schneeburg von der Normalität des Lebens in diesem Haus, bevor ein Kidnapper es zerstört hatte.
Ihr Blick verweilte auf dem Haus der Wrights zwei Türen weiter.
Ellen seufzte. »Okay, bringen wir's hinter uns.«
Hannah öffnete die Tür. Sie sah blaß und dünn aus. Das Lächeln, mit dem sie die Besucher ins Haus bat, war gequält und hastig.
»Hannah, das ist mein Kollege, Cameron Reed.« Ellen zog ihre Handschuhe aus und stopfte sie in die Manteltaschen.
»Ja, ich glaube, wir haben uns letzten Sommer anläßlich einer Fußballverletzung kennengelernt«, sagte Hannah und schüttelte Cameron die Hand.
Er strahlte sie an. »Ich bin wieder ganz gesund, und Sie hatten recht – die Narbe ist definitiv ein Eisbrecher im Fitneßstudio.« Das Lächeln verblaßte. »Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie leid mir das tut, was Sie und Ihre Familie durchmachen mußten, Dr. Garrison.«
»Danke«, erwiderte Hannah mechanisch. »Geben Sie mir doch Ihre Mäntel.«
»Wie geht es Josh?« fragte Ellen.
Das brüchige Lächeln kam und verging. »Es ist gut, ihn zu Hause zu haben.«
»Hat er etwas gesagt? Irgendeine Andeutung gemacht, wer ihn entführt hat oder wohin sie ihn gebracht haben?«
Hannah warf einen Blick ins Wohnzimmer. Ellens Blick folgte suchend. Josh war nirgends zu sehen.
»Nein«, erwiderte Hannah schließlich. »Er hat kein Wort darüber gesagt. Kommen Sie rein. Ich habe Kaffee, wenn Sie möchten.«
Sie folgten ihr durch das gemütliche Wohnzimmer mit den einladenden ländlichen Kolonialmöbeln und dem überall verstreuten Kleinkinderspielzeug und stiegen dann die drei Stufen in die geräumige Küche hoch.
»Ich habe das von dem Jungen in Campion gehört«, sagte Hannah, während sie rituell die Tassen verteilte und Kaffee eingoß. »Diese Hölle würde ich keinem wünschen. Mein Herz blutet für die Familie.«
»Das motiviert uns um so mehr, eine wasserdichte Anklage aufzubauen«, sagte Cameron. »Je mehr Druck wir auf unseren Mann ausüben können, desto größer ist unsere Chance, daß er seinen Komplizen verrät.«
Hannahs Augen weiteten sich vor Entsetzen. Mit zitternden Händen setzte sie die Kaffeetassen ab. »Sie werden ihm doch nicht etwa einen Handel vorschlagen? Nach allem, was er getan hat?«
»Nein«, beschwichtigte sie Ellen. »Keine Deals. Er wird seine volle Strafe kriegen. Wir hoffen, daß Josh uns dabei helfen kann, ihn festzunageln. Wie ich Ihnen schon am Telefon erklärt habe, Hannah, wir möchten, daß Josh das macht, was wir eine Fotogegenüberstellung nennen. Wenn er dabei unseren Mann identifiziert, werden wir eine richtige Gegenüberstellung im Polizei revier vornehmen. Wir sind der Meinung, es wäre weniger traumatisch für ihn, mit den Fotos anzufangen. Wir möchten Josh nicht aufregen, aber wenn er seinen Entführer identifiziert, wäre das der Schlüssel für unsere Anklage.«
»Wird er vor Gericht aussagen müssen?«
»Das wird davon abhängen, ob er sich an Details erinnert und bereit ist, darüber zu sprechen«, sagte Cameron.
»Wenn Josh fähig ist, eine Zeugenaussage zu machen, dann werden wir alles tun, um ihn so vorzubereiten, daß er keine Angst hat«, erklärte Ellen.
Hannah hob die Hand und spielte nervös mit einem Ohrring. »Könnte er nicht vor einer Videokamera aussagen? Ich habe das im Fernsehen gesehen.«
»Möglicherweise«, sagte Ellen. »Da gibt es einen Präzedenzfall. Ich werde mit dem Richter reden, wenn es soweit ist, aber im Augenblick möchte ich nur, daß Josh sich die Fotos ansieht. Könnten Sie ihn herbringen?«
Als Hannah die Küche verließ, öffnete Cameron seine Aktentasche, holte einen Stapel Plastikhüllen heraus und legte sie auf den Tisch.
»Sie hält sich nicht gut«, murmelte er.
»Ich bin mir sicher, daß wir uns nicht mal vorstellen können, wie das war«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher