Defcon One 01 - Angriff auf Amerika
wie ich mir meine Beine rasiere, wie ich abends mit jemandem ausgehe?« In Tracy stieg eine angestaute Wut auf, die sie schon immer gegen Nachrichtendienste gehabt hatte. Wahrscheinlich war das auch der Grund, warum sie sich mit Marks Arbeit, die oftmals auch mit Informationsbeschaffung hinter feindlichen Linien zu tun hatte, so schwer tat. Auch wenn Mark es ihr gegenüber im Detail nie zugeben würde, ab und an war er in Geschäfte mit der CIA verwickelt. »Wenn ich eins hasse, dann sind es Schnüffler! Und wenn ich selber Gegenstand einer schmutzigen Beobachtungsnummer bin, verlange ich augenblicklich Auskunft darüber. Ich finde, ich habe ein Recht dazu. Hallo? Ich bin deine Tochter!«
Präsident Gilles tupfte sich mit seiner Serviette den Mund ab, faltete sie sorgsam zusammen und legte sie auf den Tisch. Dann hob er langsam die Handinnenflächen in Tracys Richtung und hoffte damit, den aufbrausenden Ausbruch seiner Tochter zu stoppen.
»Tracy, lass mich Folgendes zu deiner Beruhigung sagen. Erstens: Niemand bespitzelt dich. Alle Informationen Scott Glenmore betreffend habe ich aus einem NASA-Bericht. Der Bericht ist reine Routine und Teil eines Informationsprogramms, das mir von den unterschiedlichsten zivilen wie militärischen Einrichtungen dieses Landes täglich unaufgefordert zugestellt wird. Sozusagen ein kompakter Überblick über die Lage im Lande. Zweitens: Die Informationen Edwin Hinkley betreffend habe ich von Edwin Hinkley senior, einem alten Weggefährten aus früheren Parteizeiten. Er ist jetzt Richter am Supreme Court, dem obersten Gerichtshof, und ich habe ihn noch vor meiner Vereidigung beim Lunch hier in Washington getroffen, um einige Dinge zu besprechen, die von verfassungsrechtlichem Belang sind. Du weißt, ich will da ein paar Gesetzesvorlagen zum Thema Klimaschutz auf den Weg bringen. War ein reines Arbeitsessen, in dem beiläufig das Thema auf seinen Sohn zu sprechen kam. Von daher die Information über den Ersatzpiloten. Papa war mächtig stolz auf seinen Jungen, das kannst du mir glauben. Und seine Marathonzeiten hat er mir dabei auch unter die Nase gerieben. Und drittens: Das Amt des Präsidenten bedingt es, sich an gewisse Mechanismen und Automatismen zu halten, welche das persönliche und familiäre Umfeld des höchsten Repräsentanten des Staates betreffen. Der Secret Service hat mich darauf hingewiesen, dass du zum Beispiel den Personenschutz wie auch den Escort Service vom Flughafen abgelehnt hast. Ich halte das, ehrlich gesagt, für keine besonders gute Idee, für irgendwelche potentiellen Attentäter oder Entführer ein leichtes Ziel abzugeben. Und was diesen Punkt anbelangt, steht mein Entschluss auch fest. Du bekommst Personenschutz, und zwar rund um die Uhr. Ab sofort ist immer ein Team in deiner Nähe, ohne dass du davon überhaupt Kenntnis nimmst. Und da deine Anrufe und Besuche in letzter Zeit ohnehin ein wenig selten geworden sind, bin ich wenigstens auf diesem Weg über dein Leben etwas im Bilde. Und nun lass uns bitte weiter essen.«
Tracy Gilles fühlte sich vor den Kopf gestoßen. Ihr war der Appetit vergangen. So hatte sich das erste Treffen seit langem nicht vorgestellt.
»Über mein Leben im Bilde sein? Dass ich nicht lache. Ich habe in den letzten Jahren mehr über dich aus den Medien erfahren müssen, als von dir persönlich. Und ich habe dir das nie zum Vorwurf gemacht, weil ich wusste, wie sehr du dir gewünscht hast, in dieses Amt zu kommen, um dieses Land auf einen neuen Weg zu bringen. Aber persönliche Bevormundung kann ich einfach nicht akzeptieren. Personenschutz rund um die Uhr, ich und das Ziel irgendwelcher Terroristen! Ich glaube, diese ganze Sicherheitsparanoia im Lande hat auch vor dir nicht Halt gemacht. Ich wünschte mir, wir hätten über dieses Thema gesprochen, bevor ich hier hin gekommen bin.«
Desinteressiert schob Tracy Gilles einige Stücke Thunfisch auf ihrem Teller hin und her. Der Appetit war ihr vergangen, und sie schenkte sich entgegen ihren sonstigen Angewohnheiten ein zweites Glas Wein ein. George T. Gilles hingegen beendete schweigsam seine Mahlzeit, um sich dann zu erheben und Tracy die Hände auf die Schulter zu legen. Er wusste, dass sie im Kern ihrer Aussagen Recht hatte. Auch drückte ihn das schlechte Gewissen, seine Tochter lange vernachlässigt zu haben. Aber dennoch; was ihn trieb, war ehrliche Sorge, und er hoffte inständig, dass seine Tochter gleich einlenken würde. Er hatte beruflich alles erreicht und es war Zeit
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