Defcon One 01 - Angriff auf Amerika
war.
Und in der Tat sollte Tracy Gilles am heutigen Abend mit einer unbequemen Wahrheit konfrontiert werden, die von jetzt an nichts mehr so sein lassen würde, wie es einmal war. Aber noch ahnte sie nichts davon, weil in ihrem Kopf tausend Dinge gleichzeitig herumwirbelten. Könnte sie doch nur die Gedanken an Mark Spacy, ihren langjährigen Freund und Lebenspartner, der gerade in Chile eine geologische Expedition leitete, aus dem Kopf verdrängen.
Mark war Operationsleiter bei der geheimnisumwitterten NUSA, jener Organisation, die sich ihrer Meinung nach paramilitärischen Aufgaben widmete und dabei den Deckmantel wissenschaftlicher Tätigkeiten in den Weltmeeren und im Weltraum vortäuschte. National Underwater & Space Agency , alleine der Name jagte ihr einen Schauer über den Rücken. Wusste sie doch nur zu gut, dass sich dahinter eine verschworene Gemeinschaft eingefleischter Patrioten verbarg, die das gefährliche Abenteuer suchte und die Jagd nach Terroristen, im großen Stil operierenden Umweltsündern und größenwahnsinnigen Gangstern betrieb. Große Jungs mit teuren Spielzeugen, die in James Bond-Manier äußerst gefährliche Spielchen spielten.
Das hatte nichts mit akribisch arbeitenden Wissenschaftlern, Forschern und Entwicklern zu tun, wie Tracy Gilles sie sich vorstellte. Sie musste sich natürlich eingestehen, dass ihr beruflicher Werdegang auch nicht gerade von Langeweile bestimmt war und eine stark militärisch geprägte Note hatte, auch wenn sie ihre Laufbahn beim Militär eigentlich immer als Mittel zum Zweck definiert hatte.
Während sie ihren Vater betrachtete, der einige nette Worte mit Max, dem anrückenden Koch, wechselte, ließ sie Revue passieren, wie sich ihr bisheriges Leben entwickelt hatte. Allerdings wurde ihr Ausflug in die Vergangenheit schnell unterbrochen.
»Tracy, möchtest du als Vorspeise lieber Lachs in Sesamkruste und marinierte Riesengarnelen oder lieber luftgetrocknetes Rindfleisch mit Spargelspitzen und Paprikajulienne?«, wollte der Präsident wissen.
»Fisch, Fisch ist prima«, antwortete Tracy.
»Und als Hauptgericht? Wir haben gegrilltes Thunfischsteak mit Zitronenbutter, Mangorelish, Brokkoli, Karotten und gebratenen Reis. Alternativ kann ich uns eine Gemüselasagne in Tomatencoulis, dazu Zucchini, Aubergine und …?« Tracy schnitt ihm mit einer Handbewegung das Wort ab.
»Dad, ist schon okay, Fisch ist prima. Sag mal, ist das hier das Weiße Haus oder ein Haute Cuisine Restaurant mit angeschlossenem Theater? Wahrscheinlich kommen gleich noch ein paar Stehgeiger, die unser Dinner begleiten. Hast du ein neues politisches Ziel ausgegeben? Vivre comme Dieu en France?«
Präsident Gilles setzte sein unverwechselbares und charmantes Politikerlächeln auf und breitete die Hände einladend aus. »Leben wie Gott in Frankreich? Schatz, nicht dass du einen falschen Eindruck bekommst von dem, was wir hier so tun. Ich möchte einfach nur ein wenig mehr Stil in den Laden bringen. Wie ich gehört habe, ist der Vor-Vorgänger von Max an Langeweile gestorben, da er seinem Boss jeden Tag ausschließlich Ribeye-Steaks braten musste.«
Tracy Gilles schüttelte schmunzelnd den Kopf und kam der Aufforderung ihres Vaters nach, sich schon einmal an einen hergerichteten Tisch mit dem Tafelsilber des Präsidenten zu setzen. Den Tisch zierten ein Blumenbouquet, ein stilvoller Kerzenständer und ein bereits dekantierter Wein, ein 2005er Riesling Kabinett trocken, wie Tracy dem deutschen Etikett entnahm. Wahrscheinlich ein Geschenk der deutschen Botschaft.
Als ein Secret Service Mitarbeiter den Präsidenten einen kurzen Augenblick um Gehör bat, entschuldigte sich dieser bei seiner Tochter mit dem Hinweis, sofort wieder zurück zu sein. Tracy nickte und blickte sich in dem kleinen Kinosaal um, der etwa vierzig Personen Platz bot, und erinnerte sich dann wieder, wie aufregend ihr Leben doch bisher verlaufen war.
Tracy Gilles war in Bakersfield, im Bundesstaat Kalifornien, aufgewachsen und hatte dort eine glückliche Kindheit verbracht. Sie war ein aufgewecktes Einzelkind gewesen und hatte sich bereits sehr früh für alle Dinge interessiert, die mit technischen Apparaten zusammenhingen. Es verging kaum eine freie Minute, in der sie nicht mit den Nachbarskindern an irgendwelchen ferngesteuerten Autos, an Motorrädern oder Motoren herumschraubte. Es war zwar etwas ungewöhnlich für ein junges Mädchen, aber ihre allergrößte Leidenschaft waren Flugzeuge. Der ganz in der Nähe des
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