Defekt
Als er ihr kräftig gegen die Knöchel
tritt, fließen ihr die Tränen über das blutverkrustete Gesicht. Wahrscheinlich
hat sie einen Nasenbeinbruch.
Sie hat Hog die Nase gebrochen. So heftig hat sie um
sich geschlagen, dass die Nase stundenlang nicht zu bluten aufgehört hat. Hog
ist sicher, dass sie gebrochen ist. Er spürt den Höcker auf dem Nasenrücken.
Sie hat ihn geschlagen, als er das Böse getan hat. Anfangs hat sie sich noch
gewehrt, gegen das Böse, das in dem Zimmer hinter der Tür mit dem abblätternden
Lack geschah. Dann hat ihn seine Mutter an jenen Ort gefahren, wo die Gebäude
alt sind und wo es immer schneit. Noch nie zuvor hatte er Schnee gesehen oder
so sehr gefroren. Sie hat ihn dorthin gebracht, weil er gelogen hat.
„Das tut weh, oder?“, sagt er. „Es tut schrecklich
weh, wenn sich Kleiderbügel in die Knöchel graben und jemand dagegentritt. Das
ist deine Strafe, weil du mir nicht gehorchst und weil du gelogen hast. Schauen
wir doch mal, wo der Schnorchel ist.“
Wieder tritt er sie, und sie stöhnt auf. Ihre Beine
unter dem schlaffen grünen Gewand - dem toten grünen Drachen, der über sie
gebreitet ist - fangen an zu zittern.
„Ich kann die Jungen nicht hören“, keucht sie. Ihre
Stimme wird schwächer, ihr Feuer erlischt.
„Sag, dass es dir Leid tut.“
„Ich vergebe Ihnen“, erwidert sie mit weit
aufgerissenen, schimmernden Augen.
Er hebt das Gewehr und richtet es auf ihren Kopf.
Sie starrt auf den Lauf, als ginge sie das alles nichts mehr an, und er rast
vor Wut.
„Du kannst von Vergebung labern, soviel du willst,
Gott steht trotzdem auf meiner Seite“, stößt er hervor. „Du verdienst seine
Strafe. Deshalb bist du hier. Kapierst du endlich? Tu, was ich dir befehle! Sag
mir, dass es dir Leid tut!“
Seine großen Stiefel knirschen leise, als er durch
den stickigen heißen Raum geht, an der Tür noch einmal stehen bleibt und
zurück ins Zimmer schaut. Der getötete grüne Drache regt sich, und warme Luft
weht durch das zerborstene Fenster herein. Das Zimmer zeigt nach Westen, die
späte Nachmittagssonne fällt durch die großen Löcher in der zerbrochenen
Scheibe herein. Das Licht berührt den glänzenden grünen Drachen, der schimmert
und strahlt wie ein Feuer aus Smaragden. Aber er bewegt sich nicht. Inzwischen
ist er ein Nichts, zerstört und hässlich - und das alles ist nur ihre Schuld.
Er betrachtet ihre bleiche Haut, ihren
schwabbeligen, übelriechenden und mit Insektenstichen und Ausschlägen bedeckten
Körper. Ihr Gestank steigt ihm schon draußen auf dem Flur in die Nase. Der tote
grüne Drache bewegt sich, wenn sie sich rührt. Die Erinnerung daran, wie er den
Drachen gefangen und gesehen hat, was sich darunter verbarg, macht ihn wütend.
Sie war es. Er ist hereingelegt worden. Es ist ihre Schuld. Sie wollte es so,
sie hat ihn ausgetrickst. Es ist ihre Schuld.
„Sag, dass es dir Leid tut.“
„Ich vergebe Ihnen.“ Ihre weit aufgerissenen,
glasigen Augen starren ihn an.
„Wahrscheinlich weißt du, was jetzt kommt“, stellt
er fest. Ihre Lippen bewegen sich kaum, und kein Ton ist zu hören. „Offenbar
weißt du es doch nicht.“
Als er sie mustert, wie sie, zerschlagen und
abstoßend schmutzig, auf der besudelten Matratze liegt, spürt er nur noch
Kälte in seiner Brust. Es ist ein Gefühl, so ruhig und gleichgültig wie der Tod
- so als ob alles, was er je empfunden hat, gestorben wäre wie dieser Drache.
„Offenbar weißt du es wirklich nicht.“
Als der Vorderschaft des Gewehrs zurückgleitet,
hallt das laute Knacken im leeren Haus wider.
„Lauf los“, befiehlt er.
„Ich vergebe Ihnen“, flüstert sie und blickt ihn mit
aufgerissenen wässrigen Augen an.
Er tritt in den Flur hinaus und hört zu seinem
Erstaunen, dass die Eingangstür ins Schloss fällt.
„Bist du es?“, ruft er.
Mit gesenkter Waffe geht er in den vorderen Teil des
Hauses. Sein Puls wird schneller. Er hat nicht mit ihr gerechnet, noch nicht.
„Ich habe dir doch verboten, das zu tun“, begrüßt
ihn die Stimme Gottes, aber er kann sie noch nicht sehen. „Du befolgst nur
meine Befehle.“
Sie erscheint in der Dunkelheit. Ihre schwarze,
fließende Gestalt schwebt auf ihn zu. Sie ist so schön, so mächtig, und er
liebt sie und könnte ohne sie nicht mehr sein.
„Was hast du dir dabei gedacht?“, fährt sie fort.
„Es tut ihr immer noch nicht Leid. Sie will es
einfach nicht sagen“, versucht er, sich zu rechtfertigen.
„Es ist noch nicht Zeit. Hast du
Weitere Kostenlose Bücher