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Defekt

Defekt

Titel: Defekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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und
es stinkt nach Schimmel, Moder, verdorbenen Lebensmitteln, Fäkalien und Urin.
    Geschickt schleicht Hog durch die Dunkelheit von
Zimmer zu Zimmer und kann genau ertasten und erschnuppern, wo er sich gerade
befindet. Geschmeidig pirscht er sich von Ecke zu Ecke, und wenn der Mond
kräftig scheint wie heute Nacht, nehmen seine Augen alles so klar und deutlich
wahr wie am helllichten Tag. Sein Blick durchdringt die Schatten, als gäbe es
sie nicht. Er erkennt die roten Striemen am Hals und im Gesicht der Frau, den
glänzenden Schweiß auf ihrer schmutzigen blassen Haut, die Angst in ihren Augen
und das abgeschnittene Haar überall auf der Matratze und auf dem Boden. Sie
hingegen kann ihn nicht sehen.
    Er geht auf sie zu. Nähert sich der übelriechenden,
fleckigen Matratze auf dem verfaulten Holzboden, wo sie sitzend an der Wand
lehnt. Ihre in leuchtendes Grün gehüllten Beine sind ausgestreckt. Die
Überreste ihres Haares stehen starr nach oben, als hätte sie den Finger in die
Steckdose gesteckt oder ein Gespenst gesehen. Sie war so klug, die Schere
wieder auf die Matratze zu legen. Er greift danach, schiebt mit der
Stiefelspitze das hellgrüne Gewand zurecht, hört ihren Atem und spürt ihre
Augen auf sich wie zwei feuchte Flecke.
    Er hat das schöne grüne Gewand mitgenommen, das über
der Sofalehne hing. Sie hatte es gerade aus dem Auto ins Haus gebracht, denn vor
ein paar Stunden hatte sie es noch in der Kirche getragen. Das Gewand hat er
sich geschnappt, weil er Lust dazu hatte. Inzwischen ist es schlaff und
zerknittert und erinnert ihn an einen getöteten, zu einem leblosen Haufen zusammengesackten
Drachen. Er hat den Drachen gefangen. Nun gehört er ihm, und seine Enttäuschung
darüber, was aus ihm geworden ist, macht ihn unruhig und wütend. Der Drache hat
ihn im Stich gelassen. Er hat ihn verraten. Als der leuchtend grüne Drache frei
und in voller Pracht durch die Lüfte schwebte, haben die Menschen auf ihn
gehört und konnten den Blick nicht von ihm abwenden. Er hat den Drachen
begehrt, sich nach ihm gesehnt. Fast hätte er ihn geliebt. Und was ist jetzt
von ihm übrig geblieben?
    Er kommt näher und tritt ihr gegen die grün
verhüllten und mit Draht gefesselten Knöchel. Sie rührt sich kaum. Vor einer
Weile war sie noch lebhafter, aber offenbar hat die Spinne ihr die letzten
Kräfte geraubt. Inzwischen verschont sie ihn auch mit ihrem dümmlichen Geseire.
Sie schweigt. Seit seinem letzten Besuch vor einer knappen Stunde hat sie
gepinkelt. Scharf steigt ihm der Ammoniakgeruch in die Nase.
    „Warum bist du so widerlich?“, sagt Hog und
betrachtet sie.
    „Schlafen die Jungen? Ich höre sie nicht.“ Sie
klingt, als wäre sie nicht mehr ganz bei sich.
    „Du sollst nicht über sie reden.“
    „Ich weiß, dass Sie ihnen nicht wehtun wollen.
Bestimmt sind Sie ein netter Mensch.“
    „Es nützt dir nichts“, entgegnet er. „Halt einfach
das Maul. Du hast ja keine Ahnung, und du wirst es auch nie kapieren, so blöd
und hässlich, wie du bist. Du bist ekelhaft. Kein Mensch würde dir glauben.
Sag, dass es dir Leid tut. Das alles ist nur deine Schuld.“
    Als er ihr wieder, diesmal fester, gegen die Knöchel
tritt, schreit sie vor Schmerz auf.
    „Das ist doch ein Witz. Schau dich nur an, du
kleines Miststück. Du bist Dreck. Verwöhntes Balg, undankbarer kleiner
Besserwisser. Dich werd ich Bescheidenheit lehren. Sag, dass es dir Leid tut.“
    Erneut versetzt er ihr einen kräftigen Tritt. Sie
schreit auf, und Tränen stehen ihr in den Augen. Im Mondschein schimmern sie
wie Glas.
    „Jetzt bist du ganz klein, was? Du hältst dich nicht
mehr für besser und klüger als alle anderen. Schau dich nur an. Offenbar muss
ich eine bessere Methode finden, um dich zu bestrafen. Zieh deine Schuhe an.“
    Verwirrung zeigt sich auf ihrem Gesicht.
    „Wir gehen raus. Du wirst mir schon noch gehorchen.
Sag, dass es dir Leid tut!“
    Aus glasigen, geweiteten Augen starrt sie ihn an.
    „Willst du wieder den Schnorchel? Sag, dass es dir
Leid tut!“
    Als er sie mit dem Gewehr anstößt, zucken ihre
Beine.
    „Du wirst mir sagen, wie sehr du es willst, richtig?
Und dich bei mir bedanken, weil du so hässlich bist, dass dich sonst niemand
anfassen würde. Du fühlst dich geehrt, richtig?“ Er senkt die Stimme, damit sie
noch furchterregender klingt.
    Wieder versetzt er ihr einen Stoß, diesmal gegen die
Brüste.
    „Dumm und hässlich. Wir wollen deine Schuhe holen.
Du lässt mir keine andere Wahl.“
    Sie schweigt.

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