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Defekt

Defekt

Titel: Defekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Kugel in den Kopf.“
    „Und die Patronenhülse wurde mit NIBIN abgeglichen?“
    „Offenbar wollte man feststellen, ob der Maskierte
bereits an einem anderen unaufgeklärten Fall beteiligt war.“
    „Ich glaube, ich verstehe nicht ganz“, wiederholt
Dr. Wesley ungeduldig. „Was geschah mit der Waffe, nachdem der Maskierte
getötet wurde? Sie hätte doch von der Polizei sichergestellt werden müssen.
Und nun wurde sie wieder bei einem Mord hier in Massachusetts benutzt?“
    „Das habe ich den Spezialisten in Broward County
auch gefragt“, entgegnet Tom, so freundlich wie möglich. „Er meinte, er habe
die Waffe nach der ballistischen Überprüfung an die Polizei von Hollywood
zurückgegeben.“
    „Tja, da ist sie aber nicht mehr“, antwortet Dr.
Wesley, als hielte er Tom für einen Vollidioten.
    Tom kaut an einem abgebrochenen Nagel, bis sein
Nagelbett zu bluten anfängt, eine alte Angewohnheit, die seiner Frau
schrecklich auf die Nerven fällt.
    „Danke“, sagt Dr. Wesley und legt auf. Tom fühlt
sich abgewimmelt.
    Er wendet sich dem NIBIN-Mikroskop zu, wo die
fragliche Patronenhülse liegt. Sie ist rot, aus Plastik, Kaliber zwölf und hat
eine Messingspitze mit einer ungewöhnlich langen, vom Schlagbolzen verursachten
Kratzspur. Der Fall steht ganz oben auf Toms Liste. Den ganzen Tag bis in die
Nacht hinein sitzt er nun schon auf diesem Stuhl und hantiert mit Ringbeleuchtung,
Seitenbeleuchtung und Richtungsanzeigern auf drei und sechs Uhr. Jedes Bild von
den Spuren des Verschlusses und den Abdrücken von Schlagbolzen und Auswurf
sichert er als Datei, bevor er die NIBIN-Datenbank durchsucht.
    Vier Stunden musste er auf ein Ergebnis warten,
während seine Familie ohne ihn ins Kino gegangen ist. Dann verschwand Thrush
zum Abendessen und bat ihn zuvor, Dr. Wesley anzurufen, vergaß aber, ihm die
Durchwahl zu geben. Also musste Tom sich an die Zentrale des McLean Hospital
wenden und sich zunächst wie ein Patient behandeln lassen. Deshalb wäre ein
wenig Lob doch angebracht gewesen, denkt er. Aber Dr. Wesley war ein „Danke“,
ein „Gut gemacht“ oder ein „Kaum zu fassen, dass Sie die Ergebnisse so schnell
beschaffen konnten“ offenbar zu mühsam. Hat er überhaupt eine Vorstellung
davon, wie schwierig es ist, eine Patronenhülse in NIBIN zu überprüfen? Die
meisten Waffenspezialisten würden es nicht einmal versuchen.
    Er mustert die Hülse. Noch nie hatte er mit einer
Hülse zu tun, die im Hintern einer Toten gefunden wurde.
    Dann schaut er auf die Uhr und wählt Thrushs
Privatnummer.
    „Verraten Sie mir nur eins“, beginnt er, als Thrush
sich meldet. „Warum wollten Sie, dass ich mit Dr. Fuck-B-I rede? Außerdem wäre
ein Dankeschön nicht schlecht.“
    „Reden Sie von Benton?“
    „Nein, von Bond. James Bond.“
    „Er ist ein netter Kerl. Keine Ahnung, was Sie
meinen. Außerdem haben Sie sich so auf das FBI eingeschossen, dass man es fast
schon als Besessenheit bezeichnen könnte. Und wollen Sie noch was wissen, Tom?“,
fährt Thrush fort, und er klingt ein bisschen betrunken. „Ich will Ihnen mal
einen Rat geben. NIBIN gehört den Feds, was heißt, dass Sie es denen zu verdanken
haben. Woher, glauben Sie, kommt denn die tolle Ausrüstung, mit der Sie
arbeiten, und die gute Ausbildung, damit Sie Ihren Job überhaupt machen können?
Tja, dreimal dürfen Sie raten. Vom FBI.“
    „Das hat mir gerade noch gefehlt“, erwidert Tom. Den
Hörer unters Kinn geklemmt, bearbeitet er seine Tastatur, schließt Dateien, um
bald in sein leeres Haus zurückzukehren, während seine Familie sich ohne ihn im
Kino amüsiert.
    „Und nur damit Sie es wissen: Benton hat schon vor
langer Zeit seinen Hut genommen und nichts mehr mit dem FBI zu tun.“
    „Dann hat er gerade allen Grund, dankbar zu sein.
Jedenfalls haben wir zum ersten Mal im Zusammenhang mit einer Patronenhülse
einen Treffer in NIBIN gelandet.“
    „Dankbar? Wollen Sie mich verarschen? Dankbar wofür?
Dass die Hülse aus dem Hintern einer Toten mit der Waffe eines ebenfalls Toten
übereinstimmt, die sich eigentlich in Gewahrsam der beschissenen Polizei von
Hollywood befinden oder längst verschrottet sein müsste?“, ereifert sich
Thrush. Wenn er getrunken hat, neigt er zu Kraftausdrücken. „Lassen Sie sich
eines gesagt sein: Er gibt einen Scheiß auf Ihre Dankbarkeit. Im Moment will er
vermutlich dasselbe wie ich, nämlich sich ordentlich einen hinter die Binde
kippen.“
     
    41
     
    In dem verfallenen Haus ist es heiß und stickig,

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