Defekt
auf einem Hocker hinter der Theke thront.
Durch das Fenster sind der ständige Verkehr auf der
A1A und das Rauschen des Meeres zu hören. Inzwischen regnet es leicht; ein
Gewitter nähert sich und zieht in südliche Richtung. Lucy denkt daran, was
Marino ihr vor ein paar Minuten über das Haus und die Vermissten erzählt hat.
Natürlich hat er auch über seinen platten Reifen geklagt, der ihn viel mehr zu
beschäftigen schien. Dann stellt sie sich vor, was ihre Tante gerade tut, während
der Sturm in ihre Richtung zieht.
„Natürlich habe ich eine Menge darüber gehört“,
wendet sich Larry - nach einem ausführlichen Exkurs über den Niedergang von
Südflorida und seine Überlegung, ob er zurück nach Alaska ziehen soll - wieder
dem Thema Florrie und Helen Quincy zu. „Es war wie immer: Mit der Zeit werden
die Einzelheiten mehr und mehr ausgeschmückt. Aber ich glaube nicht, dass ich
mit Ihren Videoaufnahmen einverstanden bin“, beharrt er.
„Es ist eine polizeiliche Angelegenheit“, wiederholt
Lucy. „Ich wurde gebeten, als Privatdetektivin in diesem Fall zu ermitteln.“
„Woher weiß ich, dass Sie keine Reporterin sind?“
„Ich war früher beim FBI und bei der ATF. Haben Sie
je von der National Forensic Academy gehört?“
„Meinen Sie das große Ausbildungslager draußen in
den Everglades?“
„Es liegt nicht unmittelbar in den Everglades. Wir
unterhalten private Labors, beschäftigen Experten, arbeiten mit den meisten
Polizeidienststellen in Florida zusammen und helfen aus, wenn wir gebraucht
werden.“
„Klingt teuer. Aber das bezahlen vermutlich die
Steuerzahler wie ich.“
„Indirekt. Stipendien, gegenseitige Unterstützung,
zum Beispiel auf dem Ausbildungssektor. Da gibt es verschiedene Mittel und
Wege.“
Aus der Gesäßtasche holt sie ein schwarzes Mäppchen
und reicht es ihm. Er mustert ihre Legitimationen, einen falschen Ausweis und
eine Dienstmarke, die, weil ebenfalls falsch, nicht einmal das Messing wert
ist, aus dem sie besteht.
„Da fehlt das Foto“, stellt er fest.
„Es ist ja auch kein Führerschein.“
Er liest laut ihren falschen Namen und dass sie beim
Sondereinsatzkommando ist. „Das stimmt.“
„Tja, wenn Sie das sagen.“ Er gibt ihr das Mäppchen
zurück.
„Erzählen Sie mir, was Sie gehört haben“, fordert
Lucy ihn auf und stellt die Videokamera auf die Theke.
Sie betrachtet die verschlossene Tür, die ein junges
Pärchen in knapper Badebekleidung gerade zu öffnen versucht.
Als sie durch die Scheibe spähen, schüttelt Larry
den Kopf. Nein, es ist geschlossen.
„Sie vergraulen mir die Kundschaft“, meint er zu
Lucy, doch es scheint ihn nicht sehr zu bekümmern. „Als ich den Laden hier
übernommen habe, ist mir alles Mögliche über das Verschwinden der Quincys zu
Ohren gekommen. Es hieß, dass Mrs. Quincy immer um halb acht morgens hier war,
um die kleinen elektrischen Eisenbahnen einzuschalten, die Christbäume
anzuzünden, Weihnachtsmusik anzumachen und auch sonst alles vorzubereiten. An
dem fraglichen Tag hat sie den Laden offenbar gar nicht geöffnet. Das
>Geschlossen<-Schild hing noch an der Tür, als ihr Sohn sich nach einer
Weile Sorgen machte und herkam, um nach ihr und ihrer Tochter zu sehen.“
Lucy holt einen schwarzen Kugelschreiber, der an
einem versteckten Kassettenrecorder befestigt ist, aus der Tasche ihrer
Cargohose und fördert ein kleines Notizbuch zutage.
„Stört es Sie, wenn ich mitschreibe?“, fragt sie.
„Aber nehmen Sie nicht alles, was ich sage, für bare
Münze. Ich war nicht dabei und kann nur berichten, was ich gehört habe.“
„Soweit ich informiert bin, hat Mrs. Quincy sich
telefonisch etwas zu essen bestellt“, beginnt sie. „Es stand so etwas in der
Zeitung.“
„Im Floridian, dem alten Diner auf der anderen Seite
der Klappbrücke. Ein ziemlich schicker Laden, falls Sie ihn noch nicht kennen.
Ich denke, dass sie gar nicht angerufen hat, weil das überflüssig war, denn sie
hat jeden Tag dasselbe gegessen. Eine Thunfischplatte.“
„Und ihre Tochter Helen?“
„Das habe ich vergessen.“
„Hat Mrs. Quincy das Essen selbst abgeholt?“
„Ja, falls ihr Sohn nicht in der Gegend war. Durch
ihn weiß ich auch ein bisschen über die Ereignisse Bescheid.“
„Dann würde ich gern mit ihm sprechen.“
„Ich habe ihn seit einem Jahr nicht mehr gesehen.
Anfangs ließ er sich immer wieder mal hier blicken, um sich umzuschauen und
ein wenig zu plaudern. Man könnte sagen, dass ihn das Thema im ersten
Weitere Kostenlose Bücher