Defekt
zumindest nicht mit den großen
Fluggesellschaften. Offenbar verbringt sie den Großteil ihrer Zeit zu Hause
und beobachtet sicher alles, was um sie herum geschieht. In Stadtvierteln wie
diesem betätigen sich viele ans Haus gefesselte Menschen als Spione, und Marino
hofft, dass Mrs. Simister auch dazugehört. Hoffentlich hat sie beobachtet, was
am anderen Ufer in dem orangefarbenen Haus vor sich geht. Und vielleicht hat
sie ja eine Vermutung, wer Scarpetta in ihrem Namen im Büro angerufen haben
könnte - vorausgesetzt, sie war es nicht doch selbst.
Marino läutet an ihrer Tür, die Brieftasche gezückt,
um seine Dienstmarke vorzuzeigen. Allerdings ist das nicht ganz ehrlich von
ihm, denn er ist kein Polizist mehr, war nie bei der Polizei von Florida
angestellt und hätte eigentlich Dienstausweis und Dienstwaffe bei seinem
Abschied von seinem letzten Arbeitgeber, einer kleinen Polizeidienststelle in
Richmond, wo er sich immer als unverstandener und unterschätzter Außenseiter gefühlt
hat, zurückgeben müssen. Wieder läutet er und versucht dann erneut, Mrs.
Simister am Telefon zu erreichen.
Noch immer besetzt.
„Polizei! Ist jemand zu Hause?“, ruft er laut und
klopft an die Tür.
28
Obwohl Scarpetta in ihrem dunklen Hosenanzug
schwitzt, hat sie nicht vor, etwas dagegen zu unternehmen. Wenn sie die Jacke
auszieht, wird sie sie irgendwo aufhängen müssen, und es widerstrebt ihr, sich
an Tatorten häuslich einzurichten - nicht einmal an solchen, die die Polizei
gar nicht für Tatorte hält.
Drinnen im Haus ist sie zu dem Schluss gekommen,
dass eine der Schwestern offenbar an einer Zwangsstörung leidet: Fenster,
Fliesenböden und Möbelstücke sind blitzsauber und ordentlich. Der Teppich
liegt genau in der Mitte des Raums, und die Fransen sind so glatt gestrichen,
dass sie wie gekämmt aussehen. Sie überprüft den Thermostat an der Wand und
notiert sich, dass die Klimaanlage eingeschaltet ist und die Temperatur im
Wohnzimmer zwanzig Grad beträgt.
„Wurde der Thermostat verstellt?“, fragt sie. „Oder
stand er auf dieser Stufe?“
„Es ist nichts verändert worden“, erwidert Reba, die
mit Lex, der Spurensicherungsexpertin der Akademie, in der Küche steht. „Bis
auf den Herd. Der wurde natürlich abgeschaltet. Die Dame, die herkam, als Ev
und Kristin nicht in der Kirche erschienen sind, hat das erledigt.“
Scarpetta notiert sich, dass das Haus nicht über
eine Alarmanlage verfügt.
Reba öffnet den Kühlschrank. „Ich würde die
Schranktüren mit Fingerabdruck-Pulver behandeln“, meint sie zu Lex. „Am besten
stäuben Sie alles ein, wenn Sie schon mal dabei sind. Wenn man bedenkt, dass
zwei heranwachsende Jungen hier gewohnt haben, ist nicht sehr viel zu essen im
Haus“, sagt sie dann zu Scarpetta. „Es sind überhaupt wenig Lebensmittel da.
Offenbar sind sie Vegetarier.“
Sie schließt die Kühlschranktür.
„Das Pulver macht das Holz kaputt“, merkt Lex an.
„Das müssen Sie entscheiden.“
„Wissen wir, wann sie am vergangenen Donnerstagabend
angeblich aus der Kirche nach Hause gekommen sind?“, erkundigt sich Scarpetta.
„Der Gottesdienst endete um sieben. Ev und Kristin
sind noch eine Weile geblieben und haben mit einigen Leuten geredet.
Anschließend fand eine Sitzung in Evs Büro statt. Es ist nur ein sehr kleines
Büro in einer sehr kleinen Kirche. Der Raum, in dem die Gottesdienste
abgehalten werden, fasst meiner Einschätzung nach höchstens fünfzig Personen.“
Reba kommt aus der Küche ins Wohnzimmer.
„Eine Sitzung mit wem? Und wo waren währenddessen
die Jungen?“, fragt Scarpetta und nimmt ein Kissen von einer geblümten Couch.
„Einige der Frauen hatten eine Besprechung. Ich weiß
nicht, wie man sie nennt. Es sind die Frauen, die für das Organisatorische in
der Kirche zuständig sind. Die Jungen waren nicht dabei. Sie haben gewartet und
miteinander gespielt. Gegen acht Uhr abends sind sie mit Ev und Kristin
weggefahren.“
„Fanden diese Besprechungen jeden Donnerstagabend
nach dem Gottesdienst statt?“
„Ich glaube, ja. Der reguläre Gottesdienst ist am
Freitagabend, und deshalb treffen sie sich am Abend davor. Es hat etwas mit
dem Karfreitag zu tun, an dem Gott für unsere Sünden gestorben ist. Sie
sprechen nie von Jesus, nur von Gott, und es geht ständig um die Sünde und
darum, dass man in die Hölle kommt. Eine seltsame Kirche. Eher eine Sekte, wenn
Sie mich fragen. Wahrscheinlich machen sie auch was mit Schlangen oder so.“
Lex
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